Ein vortrefflicher Schurke (German Edition)
betrachtete.
Der arme Gabe sah aus, als hätte er eins auf den Schädel bekommen. Wenigstens versuchte einmal jemand, ihm Vernunft beizubringen, obwohl die Frau nicht das Recht hatte zu behaupten, er hätte ihren Bruder getötet.
»Miss Waverly«, sagte Minerva und setzte ein Lächeln auf, als sie vortrat, »ich glaube, Sie unterliegen einem Irrtum, was den Tod Ihres Bruders angeht. Sehen Sie, es …«
»Halt dich da heraus, Minerva!«, forderte Gabe barsch. »Miss Waverly ist hergekommen, um sich etwas von der Seele zu reden, und ich möchte es gern hören.«
»Eigentlich«, erklärte Miss Waverly hitzig, »bin ich gekommen, um das Rennen zu sehen, Lord Gabriel. Ich konnte nicht glauben, dass Sie noch einmal so unvernünftig sein würden. Dass sie das Leben eines weiteren Mannes aufs Spiel setzen würden, nachdem …«
»Chetwin hat die Strecke ausgesucht, nicht Gabe«, warf Jarret ein. »Wie meine Schwester bereits sagte, unterliegen Sie einem Irrtum.«
»Würdet ihr jetzt bitte alle den Mund halten!«, blaffte Gabe. »Das geht keinen von euch etwas an!«
Er trat schweren Schrittes auf Miss Waverly zu. Sein leiderfüllter Gesichtsausdruck brach Minerva das Herz.
»Wie kann ich Sie für den Tod Ihres Bruders entschädigen, Miss Waverly? Was immer Sie verlangen, Sie werden es bekommen. Das Gleiche habe ich Ihrem Großvater angeboten. Ich habe ihm mehrmals geschrieben, doch er weigert sich, meine Briefe überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.«
»Er will vergessen«, erwiderte sie. »Aber ich kann es nicht.«
»Das verstehe ich. Roger war Ihr Bruder. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte und noch einmal …«
»Was für ein Unsinn!«, rief sie. »Hier und heute wiederholt sich doch die Geschichte! Vorher hätte ich Ihnen vielleicht vergeben, jetzt jedoch nicht mehr. Sie haben genau das Gleiche noch einmal gemacht. Von dem ersten Rennen gegen Chetwin hatte ich zu spät erfahren, um dabei sein zu können, aber dieses Rennen heute wollte ich mir nicht entgehen lassen.«
Gabe erstarrte, und seine Stimme wurde eisig. »Dann sind Sie also gekommen, um mir zu sagen, dass ich ein gewissenloser Dreckskerl bin.«
»Nein, ich kam, um Sie verlieren zu sehen. Doch Sie verlieren nie, nicht wahr? Da Sie so versessen darauf sind, Ihr Leben und das anderer Menschen auf dieser elenden Strecke zu riskieren, mache ich Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie gegen mich! Dann kann ich zumindest das Andenken meines Bruders ehren, indem mir das gelingt, was ihm das Wichtigste war: den allmächtigen Lord Gabriel Sharpe zu besiegen.«
Gabe schien ebenso entsetzt zu sein wie alle anderen. »Ich werde nicht gegen Sie fahren, Miss Waverly.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Warum nicht? Weil ich eine Frau bin? Ich bin ein ebenso ausgezeichneter Kutscher, wie mein Bruder es war.«
»Das ist sie wirklich«, beeilte sich ihr Begleiter zu versichern, ein dunkelhaariger Mann mit markantem Gesicht. »Meine Cousine schlägt sich hervorragend auf dem Vierspänner. Sie hat sogar ein Rennen gegen Letty Lade gewonnen.«
»Ich hörte davon«, sagte Gabe.
Minerva hingegen war diese Information neu. Letty Lade war die verrufene Gattin von Sir John Lade. Sie war nicht nur eine berühmt-berüchtigte Kutschenfahrerin, sondern sollte Gerüchten zufolge auch die Geliebte eines Straßenräubers gewesen sein, bevor sie ihren Mann geheiratet hatte, den Gründer des Vierspännerklubs. Um Letty Lade zu besiegen, musste man sicherlich ein versierter Fahrer sein.
»Wie gut Sie auch sein mögen, Madam«, erklärte Gabe, »ich werde nicht gegen Sie fahren, schon gar nicht auf dieser Strecke. Sie müssen sich auf andere Weise an mir rächen.«
»Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung ja, wenn sich herumspricht, dass Sie von einer Frau zu einem Rennen herausgefordert wurden und abgelehnt haben«, entgegnete sie kühl. »Ich denke, es wird Ihnen nicht gefallen, von Ihren Freunden ein Feigling geschimpft zu werden.«
Und damit machte Miss Waverly auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon.
Ihr hochgewachsener Vetter blieb noch einen Moment bei ihnen stehen. »Ihnen ist doch bewusst, dass sie nur wütend ist und versucht, Sie zu provozieren?«
Gabe sah ihr niedergeschlagen nach. »Und es gelingt ihr auch.«
»Ich werde sie zur Vernunft bringen«, sagte ihr Cousin und eilte hinter ihr her.
»Viel Glück!«, brummte Gabe. Dann drehte er sich unvermittelt um und ging weg.
»Was hast du vor?«, rief Jarret ihm nach.
»Mich zu betrinken!«, antwortete er und
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