Ein vortrefflicher Schurke (German Edition)
lernen?«
Ein sehnsüchtiger Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Das wäre wundervoll!«, rief sie, dann hielt sie inne. »Nein, es ist unmöglich. Wenn ich mit nassen Kleidern nach Hause komme, wissen gleich alle, dass ich etwas Ungehöriges getan habe.«
»Stimmt«, meinte er und warf seinen Hut auf die Decke, »dann zieh sie doch aus!«
Hetty saß mit Maria und Oliver in der Bibliothek und unterhielt sich vergnügt mit ihnen über ihre Pläne für das neue Kinderzimmer, als der Butler einen Besucher meldete.
»Mr Pinter!«, sagte Hetty erfreut und erhob sich, um ihn zu begrüßen.
»Mrs Plumtree.« Er machte eine formvollendete Verbeugung.
Es zeichnete den jungen Mann aus, dass er stets sehr höflich war. Er hatte der Familie bisher gute Dienste geleistet, und dafür war Hetty ihm sehr dankbar.
»Was führt Sie an diesem schönen Tag zu uns?«
Mit einem verstohlenen Blick in Olivers Richtung sagte er: »Ich bin gekommen, um über die Sache Bericht zu erstatten, die Sie vor ein paar Tagen mit mir besprochen haben.«
»Welche Sache?« Sie überlegte. »Ach ja, richtig. Giles Masters.«
Oliver horchte auf. »Was ist mit Masters?«
Als Mr Pinter erstarrte, erklärte sie: »Es ist in Ordnung. Oliver kann es ruhig wissen.«
Mr Pinter nickte ergeben. »Ihre Großmutter bat mich, Mr Masters’ private und finanzielle Angelegenheiten zu durchleuchten, da er Lady Minerva den Hof macht.«
Oliver lehnte sich zurück. »Und?«
Mr Pinter zog ein Notizbuch aus seiner Jackentasche. »Masters ist sehr erfolgreich in seinem Beruf.«
»Leider verspielt er nur sein gesamtes Geld.«
»Nein, das ist nicht richtig«, widersprach Mr Pinter. »In allen Klubs, die ich besucht habe, redeten die Leute zwar von seiner Spielleidenschaft, doch niemand konnte sich daran erinnern, wann er zum letzten Mal eine große Geldsumme verloren hat. Er scheint hier und da ein wenig zu spielen, aber in ernste finanzielle Schwierigkeiten ist er deshalb offenbar nicht geraten. Er baut gerade ein Haus am Berkeley Square, und wie Sie wissen, ist dazu einiges an Geld erforderlich.«
»Das lässt sich doch hören!«, sagte Hetty, aber überrascht war sie nicht. Sie ahnte allmählich, dass in Giles Masters wesentlich mehr steckte, als es den Anschein hatte.
»Außerdem geht das Gerücht, dass er der aussichtsreichste Kandidat für die Berufung des nächsten Kronanwalts ist«, fuhr Mr Pinter fort. »Er genießt ein hohes Ansehen bei den Anwaltsverbänden.«
Oliver legte den Kopf schräg. »Ich wusste, dass er schon einige wichtige Fälle verhandelt hat, doch Kronanwalt? Sind Sie sicher? Damit hätte er doch längst geprahlt.«
»Ich habe ganz vergessen, es dir zu erzählen«, warf Maria ein. »Sein Gehilfe hat mir und Minerva das Gleiche erzählt. Und im Gerichtssaal war er wirklich unglaublich.«
»Tatsächlich?«, entgegnete Oliver mürrisch.
»Nun sieh mich nicht so an!«, gab Maria zurück. »Ich meine sein berufliches Können, das weißt du ganz genau.«
»Was ist mit seinem Privatleben?«, fragte Oliver Mr Pinter. »Hat er eine Mätresse?«
»Meines Wissens nicht.«
Hetty lächelte zufrieden. Mr Masters gefiel ihr immer besser.
Oliver überlegte einen Moment. »Haben Sie eine Ahnung, warum er gestern in Ealing war?«
»Leider nicht. Nachdem Ihr Bruder mir gestern sagte, er habe Mr Masters dort gesehen, bin ich ihm heute gefolgt, um herauszufinden, was er vorhat. Doch er hat gar nicht in Ealing haltgemacht, sondern ist gleich durchgefahren. Also hat er vielleicht wirklich geschäftlich …«
»Was soll das heißen, er ist gleich durchgefahren?«, unterbrach Oliver ihn.
Hetty wurde misstrauisch. Als Minerva am Morgen zu ihrem Spaziergang aufgebrochen war, hatte sie es furchtbar eilig gehabt.
Mr Pinter sah Oliver verwirrt an. »Er ist doch bei Lady Minerva zu Besuch, oder? Als mir klar wurde, dass er hierher unterwegs ist, habe ich mich zurückgezogen, damit er mich nicht sieht. Ich bin wieder nach Ealing gefahren und habe dort ein paar Leute befragt, dann bin ich hergekommen, um Bericht zu erstatten.«
Oliver erhob sich mit finsterer Miene. »Sie sind sicher, dass er hierher unterwegs war?«
»Ich habe gesehen, wie er in die Straße nach Halstead Hall abgebogen ist. Es wäre natürlich möglich, dass er am Gut vorbeigefahren ist, aber wieso hätte er das tun sollen?«
Als Oliver sie ansah, wusste Hetty, dass er zu dem gleichen Schluss gelangt war wie sie. »Dieser hinterhältige Mistkerl!«, knurrte er. »Minerva hat sich beim
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