Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
aufgerissen wird und Carly höchstpersönlich vor mir steht. Die kastanienbraunen Haare hat sie zum Pferdeschwanz zusammengebunden, sie trägt eine schwarze Baseballkappe und dazu Sportkleidung und Laufschuhe. Verständlicherweise wirkt sie etwas erstaunt und verblüfft, mich hier zu sehen. So sehr sogar, dass sie mich allem Anschein nach im ersten Moment gar nicht erkennt.
»Wer zum Kuckuck sind S…«, setzt sie an und stiert mich unter ihrer Schirmmütze finster an. »Sarah?«, ruft sie dann ungläubig und mustert mich von Kopf bis Fuß. Wobei ich zu ihrer Verteidigung sagen muss, dass ich heute tatsächlich etwas schicker angezogen bin als sonst. Heute habe ich mich für ein zuckersüßes orangefarbenes Kleid aus den Sechzigern entschieden, Kragen, Ärmel und Taschen in Weiß abgesetzt. Außerdem habe ich mir Locken in die Haare gedreht und mir einen Pferdeschwanz gemacht, wodurch sie besonders schön federn. Und um das Ensemble abzurunden, trage ich dazu eine schwarze Strumpfhose, meine festen schwarzen Schuhe und eine kurze schwarze Jacke, zu der ich mir einen dicken weißen Schal um den Hals geschlungen habe. Irgendwie ein bisschen durchgeknallt, aber ich hoffe, das Outfit sagt auch: »Genau das Richtige für einen entspannten Sonntag mit Stadtbummel in Begleitung eines umwerfenden Amerikaners inklusive Knutschen«. Das, oder es schreit einfach nur »aufgedonnert«.
Ich winke und lächele leicht panisch. »Hiya, Carly! Ähm, darf ich kurz reinkommen?«
»Klar. In den Klamotten habe ich dich erst gar nicht erkannt. Hey«, meint sie mit einem verschwörerischen Zwinkern, »warst du die ganze Nacht unterwegs?«
Hektisch werfe ich einen Blick über die Schulter und stelle entsetzt fest, dass Joel schon um die Biegung kommt, und sollte er innerhalb der nächsten fünf Sekunden aufschauen, wird er unweigerlich sehen, wie ich hier mit Carly vor der Tür stehe und rede, und dann werde ich einiges zu erklären haben.
»Das ist eine lange Geschichte!«, kiekse ich und drängele mich unaufgefordert an Carly vorbei in den Hausflur. Zum Glück macht sie die Tür hinter mir gleich wieder zu.
»Alles okay, Sarah? Du bist ja ganz schön durch den Wind«, meint sie und packt mich besorgt am Arm. »Was machst du eigentlich hier? Ich wollte gerade eine Runde joggen gehen.« Sie lacht etwas gequält und fasst sich an die Stirn. »Das ist meiner Erfahrung nach das beste Mittel gegen einen Kater. Ich, ähm, war letzte Nacht auch lange weg; wir waren in einem tollen neuen Club in der King’s Road. Ich war mit all meinen Mädels da, und es war wirklich ein verrückter Abend. Du rätst nie, was uns passiert ist. Wir, ähm …« Sie unterbricht sich und kaut auf dem Daumennagel herum. »Entschuldige, möchtest du vielleicht einen Tee?«
»Das wäre ganz toll!«, sage ich und schiebe mich unauffällig ins Wohnzimmer und weg von der Tür.
Dort schaue ich mich kurz um. In dem Raum steht ein blaues Sofa und daneben ein verfleckter alter Ohrensessel mit einem Überwurf. Auf dem Parkettboden liegt ein alter cappuccinofarbener Teppich, der eindeutig von Ikea stammt. Wobei eigentlich die gesamte Einrichtung sehr nach Ikea aussieht. Dicke weiße Stumpenkerzen und Zeitschriften drängen sich auf dem mit Tassenabdrücken übersäten Couchtisch. Darauf außerdem ein einzelner Teller mit einem Rest Pasta, daneben ein halb leeres Glas Wein und die Fernsehzeitschrift, verräterischerweise bei den Samstagabendseiten aufgeschlagen.
»Sag mal«, ruft Carly und steckt aus der kleinen Miniküche gleich neben dem Wohnzimmer den Kopf zur Tür herein, »ich wusste gar nicht, dass du weißt, wo ich wohne.« Ihr Blick wandert zu dem Teller und dann wieder zu mir. »Ach«, stammelt sie, »ich hab gestern Abend noch schnell eine Kleinigkeit gegessen, ehe ich losgezogen bin!« Schnell kommt sie herein, schnappt sich Teller und Weinglas und verschwindet schleunigst wieder in die Küche.
Ich höre, wie der Kocher blubbert und dann Wasser in zwei Tassen gluckert. Ich nutze die Gunst der Stunde, um die Jalousien etwas zu öffnen und auf die Straße hinauszuspähen. Joel steht mitdem Rücken zu mir an dem kleinen Tor vor Carlys Haus und fingert an den Ohrhörern herum, die er sich dann in die Tasche stopft. Er streicht sich über die Haare und dreht sich um, und ich mache entsetzt einen Satz weg vom Fenster, just in dem Augenblick, als Carly mit zwei dampfenden Teetassen hereinkommt.
Ich höre Schritte auf dem Weg und gerate in Panik. Joel wird jeden
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