Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
könnte zu weit gegangen sein.
»Und sieht man von da oben auch den Lei- che -ster Square?«, fragt er laut mit übertriebenem Yankee-Akzent, wobei er den Namen absichtlich falsch ausspricht, damit die anderen Fahrgäste ihn hören, die darauf erwartungsgemäß die Augen verdrehen. »Und den Bucking- häm Palace auch?«, fragt er weiter. Und dann bekommt er kleine Lachfältchen um die Augen und muss laut lachen. Und ich stimme ein, hauptsächlich aus Erleichterung, dass der Joel, den ich kenne und, na ja, sehr mag, wieder da ist. Zumindest fürs Erste.
Die Warteschlange vor dem London Eye ist lang und windet sich kreuz und quer die Southbank entlang. Dort öffnet gerade ein traditioneller Weihnachtsmarkt nach deutschem Vorbild seine Pforten; überall entlang des Ufers stehen kleine Holzbuden, in denen alle nur erdenklichen Dinge verkauft werden, die irgendwie mit Weihnachten zu tun haben, darunter auch heißer Cider. Nach diesem Morgen bin ich fast versucht, mir einen zu genehmigen, aber dazu ist es wohl noch ein bisschen zu früh am Tag. Stattdessen besorgen wir uns zwei Caffè Latte und reihen uns angeregt plaudernd in die Warteschlange ein. Joel ist merklich aufgetaut und wieder so freundlich und aufgeschlossen wie zuvor, hat aber bisher keine Anstalten gemacht, mich zu küssen oder auch nur meine Hand zu halten. Ich versuche, mir deswegen keine Sorgen zu machen, während ich so neben ihm stehe und mich bemühe, einfach ich selbst zu sein.
Joel trinkt ein Schlückchen Kaffee und schlingt den freien Arm um seinen Oberkörper. Es ist bitterkalt, und nur der strahlende Sonnenschein bewahrt uns vor Frostbeulen und Erfrierungen. Sicher wäre uns beiden wärmer, würden wir uns aneinanderkuscheln, aber das habe ich mir wohl selbst vermasselt. Dabei sieht Joel wirklich zum Knuddeln aus. Zwar macht er im Anzug eine tolle Figur (und ohne erst!), aber sein lässiger Freizeit-Look gefällt mir fast noch besser: weicher Kaschmirpulli mit marineblauem Mantel im Uniformstil darüber. Ums Kinn hat er einen leichten Bartschatten, und Lippen und Wangen sind rot vor Kälte. Er trägt eine schwarze Jeans und schwere Lederstiefel, um den Hals hat er einen rot-braun gemusterten Schal gewickelt und auf dem Kopf eine süße Skater-Strickmütze. Bei jedem anderen sähe die völlig albern aus. Außer vielleicht bei Sam, wenn ich so darüber nachdenke.
»Und, wie läuft es so bei Hardy’s?«, erkundigt er sich, verschränkt die Arme und beugt sich interessiert zu mir vor. Ich freue mich, dass er so viel Anteilnahme für meine Arbeit aufbringt. Damals, als Jamie seine Karriere als Koch verfolgte, habe ich jahrelang in miesen Jobs geschuftet, sodass ich mir kaum noch vorstellen kann, irgendwer könne sich für das, was ich mache, auch nur ansatzweise begeistern. Und auch in meiner ganzen Zeit bei Hardy’s hat nie irgendjemand gesteigertes Interesse an meiner Lagerarbeitertätigkeit gezeigt. Was ich eigentlich nur zu gut verstehen kann. Aber Joel? Der lauscht mit wachsender Begeisterung meinen Geschichten von Hardy’s und scheint ehrlich interessiert daran, was im Haus vor sich geht.
Ich erzähle ihm von den neu gestalteten Abteilungen, und er nickt nachdenklich.
»Das scheint wirklich etwas auszumachen, oder?«, meint er und starrt versonnen in die Ferne. »Aber niemand weiß, wer dahintersteckt?« Ich schüttele den Kopf. Er beugt sich noch etwasweiter vor, bis seine Lippen verführerisch nahe an meinen sind, und ganz kurz glaube ich allen Ernstes, ich könne womöglich in Ohnmacht fallen.
»Ich verstehe nicht ganz, wie du das meinst«, entgegne ich zurückhaltend.
Er lacht und nimmt mich in den Arm und zieht mich an sich. Er riecht nach Zimt und Moschus und, o Gott, ganz wunderbar nach Mann. Mein Blick fällt auf seine Hand, die mich hält. Seine Fingernägel sind perfekt gefeilt und strotzen nur so vor Gesundheit, weshalb ich mich unvermittelt frage, ob er wohl regelmäßig zur Maniküre geht. Würde mich nicht wundern. Er legt eine Hand auf meinen Nacken, sodass sein Mund direkt an meinem Ohr ist, und ich kann nur noch beten, dass das Bündchen meiner Unterhose nicht nachgibt und mein Slip sich einfach sang- und klanglos verabschiedet.
»Manchmal bist du einfach zu bescheiden. Alle sind überzeugt, dass du es bist. Rupert redet ständig darüber, wie großartig du deine Arbeit machst.«
»Ach, wirklich?« Ich bin ganz außer mir vor Freude, bis mir aufgeht, dass Joel natürlich Carly meint. »Was sagt er denn so?«,
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