Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
helfen. Sie waren alle schon auf, als ich nach unten kam. Will ist wohl die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen – und wenn doch, hat er auf der Couch geschlafen –, also haben wir den Kindern gemeinsamFrühstück gemacht und sie fertig gemacht für den Hort. Zum Abschied habe ich Delilah umarmt, aber sie hat kaum reagiert und fühlte sich so schwach und willenlos an in meinen Armen, als hätte sie überhaupt keine Kraft und keinen Lebensmut mehr. Zum ersten Mal in ihrem Leben scheint Delilah völlig am Boden zerstört zu sein, und ich weiß nicht, ob ich ihr wieder auf die Beine helfen kann. Ich wünschte, ich könnte für sie dasselbe tun wie für einige meiner Kollegen, die neuerdings allem Anschein nach mit ganz neuem Schwung und Elan zur Arbeit kommen. Jane ist kaum wiederzuerkennen, Gwen hat sich zu einer großartigen Verkäuferin gemausert (ihre Verkaufszahlen sind unübertroffen, was sich sicher vorteilhaft auf die Abzahlung ihrer Kreditkartenschulden auswirkt), selbst Sharon wirkt nicht mehr so hart und verkniffen wie früher. Aber diese kleinen Erfolge erscheinen mir plötzlich trivial und bedeutungslos, denn um ihretwillen habe ich meine Schwester vernachlässigt, dabei braucht sie mich womöglich gerade am meisten.
Ich versuche die aufkommenden Gewissensbisse mit dem Gedanken an Felix zu vertreiben: Der hat mich im Laufe dieser Geschichte am meisten verblüfft. Heute Morgen haben wir gut eine Stunde lang zusammen in seinem kleinen Kabuff gesessen und geplappert, genau wie in den guten alten Zeiten. Und mir ist klar geworden, dass dies der echte Felix ist: ein vitaler, kreativer, zupackender Kerl, der sprüht vor unerschöpflicher Energie und unverwüstlichem Optimismus. Ich kenne ihn seit zwei Jahren. Und in der Zeit habe ich ihn immer nur als alten Mann gesehen, der fertig ist mit der Welt. Morgens saß er zusammengesunken über seinen Sudoku-Rätseln, um irgendwie die Zeit bis zum Feierabend totzuschlagen und dann wieder allein in sein leeres Haus zurückzugehen. Unsere kleinen Schwätzchen waren für ihn der Höhepunkt des Tages, aber inzwischen ist alles anders, und es gibt wieder einiges in seinem Leben, was ihm Freude macht.
Heute hat er zum Beispiel überlegt, wo Evies Weihnachtswichtel ihr nächstes konspiratives Planungstreffen abhalten könnten. Und Jan Baptysta hat versprochen, am Wochenende bei ihm vorbeizuschauen und ihm bei diversen Reparaturarbeiten zur Hand zu gehen; alles Sachen, die Felix sich nach Maisies Tod allein nicht mehr zugetraut hat. Die beiden haben sogar vor, sich anschließend ein leckeres Curry zu besorgen und zusammen einen Film anzuschauen. Felix hat mir gestanden, seit Maisies Tod habe er sich kaum noch unter Menschen getraut. Er hatte Angst, zu viel herumzujammern und allen zur Last zu fallen. Aber nun wirkt er wie ein völlig neuer Mensch.
Wieder hämmert es laut von draußen gegen die Tür, und mir fällt siedend heiß ein, dass da jemand steht und wartet. Schnell streiche ich mir die Haare glatt und schnippe sie von den Schultern, dann reiße ich die Tür auf, und die kalte Luft, die mir entgegenschlägt, nimmt mir fast den Atem. Ich versuche, Sam nicht in die Augen zu sehen, als ich ihn hereinlasse.
»Ich dachte schon, du hast verschlafen«, brummt er. »Aber ich, ähm, ich habe was für dich, das ich dir unbedingt zeigen wollte.« Er tritt die Schuhe auf der Matte ab und wirft die Jacke auf das Sofa, als ich die Tür hinter ihm schließe und ihn verstohlen mustere, während er mir noch den Rücken zukehrt.
Allein durch seine Anwesenheit ist es plötzlich viel heller und freundlicher in dem dunklen Raum, was auch daran liegt, dass er ein grell gemustertes Hemd trägt, in dem er aussieht, als müsse er eigentlich Bäume fällen.
Ohne sich die Zeit zu nehmen, sich hinzusetzen oder sich von mir einen Tee anbieten zu lassen oder auch bloß die Kisten hereinzuschleppen, die er bereits aus dem Lieferwagen geholt und vor der Hintertür deponiert hat, zieht er einen Stapel Zeitungen heraus und drückt sie mir in die Hand. »Du musst dir Seite drei von Ham and High angucken!«, sprudelt es aus ihm heraus, under zeigt so begeistert mit dem Finger darauf, dass ich kaum die Seite aufschlagen kann. Ungeduldig herumzappelnd hopst er von einem Bein auf das andere. »Und schau mal – in der Islington Gazette haben wir eine halbe Seite bekommen!«
Und weil es ihm zu lange dauert, bis ich die Zeitung aufgeschlagen habe, nimmt er sie mir aus der Hand und breitet sie auf
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