Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
und mich nie auf ein Date mit Joel eingelassen. Auch wenn Letzteres nicht unbedingt auf die ehrlichste Art und Weise zustande gekommen ist. Sie hat mich mit offnen Armen aufgenommen und damit ihr eigenes Familienglück aufs Spiel gesetzt. Will wäre es sicher lieber, ich würde nicht bei ihnen wohnen. Vielleicht bin ich ja auch ein Grund dafür, dass es in ihrer Ehe kriselt. Ob er sich womöglich auf eine Affäre eingelassen hat, um öfter aus dem Haus zu kommen? Wieso bin ich nicht schon viel früher darauf gekommen, dass ich ihre Ehe belasten könnte?
Ich mache die Haustür auf, schiebe Raffy und Lola nach drinnen und will ihnen gerade die Jacken ausziehen, als ich höre, wieirgendwo im Haus die Türen knallen. Ein Koffer fliegt im hohen Bogen die Treppe hinunter und landet fast vor unseren Füßen. Rasch packe ich Lola und Raffy bei den Schultern und drehe sie zu mir um.
»Hey, ihr zwei!«, rufe ich laut. »Wer will Cupcakes aus der Primrose Hill Bakery?« Ich trompete absichtlich wie ein Elefant, damit der Türenknaller dort oben, vermutlich Delilah, weiß, dass wir da sind.
»JUHU!«, quietscht Lola und hüpft aufgeregt im Kreis herum.
»Juhujuhuhuhuhuhuhuhu«, stimmt Raffy sofort ein und scheint gar nicht mehr aufhören zu wollen.
»OKAY, DANN LOS!«, brülle ich, mehr an Delilah gerichtet als an die beiden, und dann mache ich die Tür auf und marschiere mit ihnen hinaus in den trüben Winternachmittag und bin heilfroh, dass das Lieblingscafé der Kinder mit den köstlichsten Kuchen und Torten gleich um die Ecke liegt und uns herzlich empfängt. Sekunden später piepst mein Handy.
»Danke. Hab dich lieb, Schwesterlein. Dx«
An diesem Abend liege ich mit dem Kissen über dem Kopf im Bett und versuche nicht hinzuhören, während Will und Delilah sich anschreien, und hoffe dabei inständig, dass die Kinder, weil es schon so spät ist, tief und fest schlafen und nichts davon mitbekommen. Delilah und Will wohnen zwar in einem Bilderbuchhaus in einer der schönsten Ecken Londons, aber die Worte und Anschuldigungen, die sie sich an den Kopf werfen, sind genauso hässlich wie das, was man sonst bei Eastenders erwarten würde. Ich drücke das Kissen fester auf die Ohren, um Delilahs Geschrei und Wills verdatterte Verteidigungsversuche zu ersticken.
Er versichert, er käme nicht deshalb immer so spät nach Hause, weil er eine Affäre hat, sondern weil er Überstunden machen müsse. Und meint, sie müsse verrückt sein, wenn sie allenErnstes glaube, er betrüge sie. Mir dreht sich der Magen um bei dieser infamen Lüge.
Nie bist du da, sagt sie.
Du doch auch nicht, kontert er.
Du bist besessen von deiner Arbeit, schreit sie.
Nur weil du so besessen bist von diesem aberwitzig verschwenderischen Lebensstil, brüllt er.
Du siehst die Kinder gar nicht mehr.
Die Kinder sehen dich gar nicht mehr.
Hin und her, ein Teufelskreis, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Es führt zu nichts, es wird nur immer schlimmer. Diese Familie geht unter wie ein leckgeschlagenes Schiff, denke ich. Und das ist alles meine Schuld. Was ich so genau weiß, weil ich gehört habe, wie Will es selbst sagte. »Immer ist sie da«, hat er entnervt gesagt. Und ich weiß, dass er mich meinte. Und er hat recht.
Mein Handy, das ich an die Brust gedrückt habe, summt und leuchtet sanft unter der Bettdecke. Ich drücke auf Anruf annehmen und muss trotz allem lächeln, als ich Joels Stimme höre.
»ICH GEHE JETZT«, schreit Will in dem Moment, als Joel Hallo sagt.
Die Tür schlägt hinter ihm zu, und ich schuddere, als ich Delilahs verzweifeltes Schluchzen durchs Haus hallen höre. Und doch stehe ich nicht auf und gehe zu ihr, wie ich es eigentlich müsste. Denn Joel ist da, und seinetwegen geht es mir besser, und ich will mich besser fühlen. Und außerdem kann ich ihr jetzt nicht ins Gesicht schauen. Was hier gerade passiert, ist alles meine Schuld. Nein, ich sollte lieber brav hier oben in meinem kleinen Kämmerchen bleiben, mich unter der Decke unsichtbar machen und beim angenehmen Klang von Joels leiser Stimme alles um mich herum vergessen. Trösten und in den Arm nehmen kann ich sie nachher immer noch. Nach diesem Anruf.
Als Joel mir schließlich eine Gute Nacht gewünscht hat, lege ich das Handy aufs Nachttischchen und stehe auf. Leise tappe ich die Treppe hinunter, zittere, als die Kälte an mir hochkriecht, und drücke behutsam die Schlafzimmertür auf. Delilah liegt fest zusammengerollt mitten auf dem Bett, die Decke in einem wirren
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