Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
sein. Meine Arbeit in der Parfümerie und der Herrenoberbekleidung waren anscheinend reine Glückstreffer.
Und dann beschleicht mich ganz kurz die Angst, was das wohl bedeuten könnte. Bis mir aufgeht, dass es nichts weiter bedeutet, als dass Carly die Rettung für Hardy’s sein wird, nicht ich. Na ja, hoffe ich zumindest. Sie ist jedenfalls besser qualifiziert für diese Aufgabe. Ich sollte einfach brav weiter meine Regale auffüllen. Dad hatte doch recht: Ich bin bloß das Mädel aus dem Warenlager. Und ich sollte mir endgültig aus dem Kopf schlagen, mehr sein zu wollen.
»Darling!«
Lily kommt zu mir herübergerauscht. Heute trägt sie ein schickes schwarzes Bouclé-Kostüm mit weißer Paspel. Die Haare hat sie zu einem adretten Dutt hochgesteckt, und ihre Lippen sind wie immer tiefrot geschminkt. Sie umarmt mich herzlich zur Begrüßung. Der Duft frischer Gardenien und wohlriechenden Puders steigt mir in die Nase, und dann tritt Lily einen Schritt zurück und schaut mich anerkennend an und dreht mich um die eigene Achse, damit sie das rot bedruckte Blusenkleid, das ich für meine Verabredung heute Abend trage und das an diesemdeprimierenden Tag bislang der einzige Lichtblick ist, gebührend von allen Seiten bewundern kann.
»Das ist trrrraumhaft , Darling«, schnurrt sie. »Das Kleid passt perfekt zu dir. Vierziger Jahre, nicht wahr? Wusste ich es doch, dass ein bisschen Glamour in dir steckt. Das steht dir viel besser als diese Billigfummel, die ihr Mädchen heutzutage so gerne tragt. Wo hast du das denn her?«
»Vom Battersea Vintage Fair«, entgegne ich und breite den Rock ein wenig mit den Händen aus. »Das habe ich schon seit einer Ewigkeit, aber … bisher hatte ich keine Gelegenheit, es zu tragen. Und auch keine Lust«, gestehe ich.
»Und jetzt hast du die Gelegenheit, ja?«, fragt Lily und geht vor mir her durch den leeren Teesalon zu einem Tisch. »Ich bin ganz Ohr«, ruft sie über die Schulter zurück. »Ich mache dir nur schnell eine Kanne Earl Grey. Du siehst aus, als könntest du einen Tee brauchen.« Und dann kommt sie auch schon wieder zu mir zurückgeschwebt, ein Tablett mit einer entzückenden Teekanne von Clarice Cliff, zwei passenden Teetassen und einer winzig kleinen Etagere mit verschiedenen Gebäckstücken in den Händen. »Du darfst dir als Erste etwas aussuchen«, sagt sie mit einem Nicken in Richtung Etagere und nimmt dann mir gegenüber Platz. »Ich setze mich zu dir. Ist ja im Moment nicht gerade Hochbetrieb.« Mit wehmütigem Lächeln deutet sie auf die leeren Stühle.
»Vielleicht solltest du Carly bitten, herzukommen und den Laden umzukrempeln«, sage ich nicht ohne einen Hauch von Bitterkeit. »Momentan scheinen ja alle ganz verrückt nach ihr zu sein.«
»Carly? Pffff!«, schnaubt Lily. »Die würde echten Stil doch nicht mal erkennen, wenn er ihr in den Hintern beißt.« Entsetzt schlägt sie die Hand vor den Mund und verzieht das Gesicht. »Hoppla. Gossensprache. Verzeihung. Ich meine, sie ist ein hübsches Mädchen, aber sie hat keinerlei Vorstellungsgabe, keinen Sinn für Kunst oder Geschichte oder … oder den Gesamt e indruck . Sie ahmt einfach nur den Laufsteg-Look nach, den sie an Models oder Prominenten sieht. Das nennt man nicht Stil, das nennt man Nachäffen. Man könnte es als ehrlichste Form der Schmeichelei bezeichnen, aber Mode ist das sicher nicht, Evie.«
Nach dieser kleinen Rede nippt Lily an ihrem Tee und schaut mich an. »So, und nun zu wichtigeren Dingen. Erzähl mir von deiner Verabredung …«
Eine Stunde später verlasse ich Lilys Teesalon in deutlich besserer Laune. Ich habe ihr haarklein alles über Joel erzählt, und sie hat an den richtigen Stellen ergriffen geseufzt und ist förmlich dahingeschmolzen und hat in die Hände geklatscht und sich genau so benommen, wie man es sich von einer guten Freundin erhoffen würde. Dass ich vorgebe, Carly zu sein, davon habe ich ihr nichts gesagt. Ich bringe es ja kaum fertig, es mir selbst einzugestehen. Lily hat mir für heute Abend ihre schwarze Original-Chanel-Handtasche geliehen, die ihrer Meinung nach perfekt zu meinem Outfit passt. Die hängte ich mir gleich über die Schulter und bewunderte ehrfürchtig die herrlich weiche gesteppte Tasche mit dem unverwechselbaren Emblem. Lily setzte sich ein wenig zurück auf ihrem Stuhl, begutachtete mich von Kopf bis Fuß und erklärte dann, Coco wäre stolz auf mich gewesen, und so, wie sie es sagte, klang es fast, als hätte sie sie persönlich gekannt.
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