Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
folge ich Sharon aus dem Lagerraum nach draußen. Auf dem Weg in den Verkauf sehe ich vor mir die gesamte Belegschaft von Hardy’s die Haupttreppe hinaufsteigen und aufgeregt durcheinanderplappern. Ich reihe mich hinter Sharon am Ende der Schlange ein. Im ersten Stock angekommen, stelle ich mich unauffällig hinter meine im Halbkreis stehenden Kollegen, deren Geschnatter zu leisem Gemurmel verebbt ist.
Diesen Moment nutze ich, um mir etwas genauer anzuschauen, was Carly hier geleistet hat. Zu behaupten, die Abteilung wirke minimalistisch, wäre eine glatte Untertreibung. Die gesamte Verkaufsetage sieht aus, als habe man sie vollkommen entkernt. Die traumschöne Original-Holzvertäfelung an den Wänden ist hinter großen weißen Platten versteckt. Sämtliche Kleiderständer und Regale sind verschwunden. Seltsame, modernistische Glasprismen hängen in der Abteilung verstreut trostlos von der Decke des Atriums wie Stalaktiten in einer verlassenen Höhle. Statt endloser Reihen vollgestopfter Kleiderständer gibt es jetzt nur noch vier Stangen entlang der Seiten, an denen jeweils nicht mehr als ein halbes Dutzend Kleidungsstücke hängen, allesamt in verschiedenen Grau- und Silbertönen und Schwarz und Weiß gehalten. Mitten im Raum hängen vier ausgefallene Kleider an unsichtbaren Fäden von der Decke wie moderne Kunstwerke.
Stolz steht Carly mitten in ihrer Abteilung zwischen den vier Kleidern/Installationen, und neben ihr die missvergnügt wirkende Elaine. Carly trägt ein enges weißes Kleid mit überschnittenen Schultern und aberwitzig hohe Stilettos. Die Haare hat sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre Augen funkeln unübersehbar. Sie sieht aus wie ein Popstar auf einer riesigen Konzertbühne.
Dann hebt sie die Hände, und sofort wird es still. »Willkommen in der brandneuen Designerabteilung«, verkündet sie stolz.Sie holt mit der Hand aus und streift dabei versehentlich eine der furchterregenden Kleiderinstallationen. Elaine verdreht die Augen. Carly räuspert sich und fährt fort. »Wie ihr sehen könnt, habe ich keine Mühe gescheut …« Elaine hüstelt und räuspert sich. Mit angesäuertem Gesicht wirft Carly ihr einen Seitenblick zu. »… haben wir keine Mühe gescheut, den gesamten Verkaufsbereich völlig neu, frisch und sehr modern zu präsentieren. Hardy’s hat viel zu lange an der Vergangenheit festgehalten, und ganz ehrlich, ich glaube, das ist der Grund, weshalb wir auch so weit hinter unsere Konkurrenz zurückgefallen sind.«
Sharon, die vor mir steht, nickt zustimmend. Ich versuche, keine Grimasse zu ziehen. Unauffällig schaue ich mir die anderen Mitarbeiter an, die Carly allesamt ehrfürchtig an den Lippen hängen. Bis auf Elaine; die knibbelt unbeteiligt an den Fingernägeln.
»Dies«, erklärt Carly mit einer ausladenden Geste, die die gesamte Verkaufsabteilung einschließt, »diese Umgestaltung ist ein Symbol dafür, was dieser Laden braucht, um zu überleben.« Sie hebt die Stimme und beide Hände. »Wir müssen topaktuell sein, am Puls der Zeit, modisch auf dem neuesten Stand und eine stilistische Vorreiterrolle übernehmen. Diese Abteilung«, verkündet sie stolz, »ist die Zukunft von Hardy’s.«
Es ist totenstill, während diese großen Worte in unseren Köpfen nachhallen. Ich hoffe bloß um ihretwillen, dass sie recht hat. Just in diesem Augenblick tritt Rupert vor und klatscht. Alle anderen tun es ihm nach, und bald hallt dröhnender Applaus durch die minimalistische Abteilung, der von den weißen Platten abprallt und sich in den Glasprismen bricht.
Sieht aus, als stünde ich tatsächlich mutterseelenallein da.
Carly lächelt und nickt und nimmt die Beifallsbekundungen mit einer kleinen Verbeugung entgegen. Dann sieht sie mich, und ich zeige ihr die gereckten Daumen, um mich anschließend unauffällig zu verdrücken.
Langsam gehe ich nach unten und steuere Lilys Teesalon an, und auf einmal fühle ich mich ganz schlapp und ausgelaugt. Ich brauche dringend eine Tasse Tee und jemanden zum Reden, der mich versteht. Zwar könnte ich Sam anrufen, aber eigentlich ist mir mehr nach echter Gesellschaft. Und irgendwie finde ich es doch etwas seltsam, dass der Mensch, an den ich mich in meiner Not wende, bereits im Rentenalter ist. Was sagt das über mich? Dass ich ein altmodisches Mädel bin, das an der Vergangenheit klebt und keine Ahnung hat, was die Leute heutzutage wollen?
Gemessen daran, was ich gerade in der Designerabteilung erlebt habe, muss es wohl so
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