Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
Dann schaute sie mich mit erhobenem Zeigefinger an, stand auf und verschwand hinter der Theke, wo sie ein wenig herumkramte, und als sie wieder zurückkam, hatte sie eine Handvoll Haarnadeln dabei. Mit einer geschmeidigen Handbewegung strich sie mir die Haare aus dem Gesicht und fasste sie mit einer Drehung zu einer Vierziger-Jahre-Frisur zusammen, von der sie mir erzählte, man habe sie damals als Victory Roll bezeichnet, als Siegesdutt, da sie sehr beliebt war bei Siegesfeiern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dann trat sie etwas zurück undnickte zufrieden. »So sieht Joel noch mehr von deinem hübschen Gesicht.« Und dann küsste sie mich auf die Wangen und verabschiedete sich. Wobei sie vorher noch versprach, am Donnerstagabend auf einen Drink mit uns auszugehen.
Ich habe nämlich beschlossen, statt meiner geplatzten »Beförderungsparty«, wie Sam sie ursprünglich mal vorgeschlagen hatte, all meine Lieblinskollegen von Hardy’s zu einem kleinen geselligen Beisammensein einzuladen und sie miteinander bekannt zu machen. Irgendwie erscheint es verrückt, dass Lily Sam noch nicht kennt, und Sam Felix noch nie gesehen hat – sie alle gehören zu diesem Laden, und doch haben sie alle, wie ich, einen »unsichtbaren« Job. Die Verkäufer gehen schließlich auch regelmäßig zusammen aus, warum also nicht auch wir? Ich bin mir sicher, dass sie sich blendend verstehen werden. Noch habe ich Sam nichts davon erzählt, aber ich bin überzeugt, er wird begeistert sein. Und Lily wirkte, was sonst gar nicht ihre Art ist, beinahe um Worte verlegen und hatte Tränen in den Augen, als ich sie eingeladen habe. Doch dann klatschte sie in die Hände und meinte, sie könne es kaum erwarten, mal wieder »rauszukommen« und etwas mit mir und meinen Freunden zu unternehmen.
Vorsichtig fahre ich mit der Hand über meine Haare und betaste die ungewohnte Frisur. Die glatte Tolle gibt unter meinen Fingern federnd nach. Irgendwie komme ich mir plötzlich größer vor, selbstbewusster. Lily zufolge brauche ich jetzt bloß noch einen Hauch roten Lippenstifts, dann liegt meine Verabredung mir sofort zu Füßen. Ich habe ihr nicht verraten, dass ich eigentlich wie gewöhnlich bloß etwas Lippenbalsam auftragen will. Schließlich will ich nicht aussehen, als ginge ich zu einem Kostümball. Zum Glück ist alles, was ich anhabe, selbst heute noch so klassisch und elegant, dass ich nicht aussehe, als sei ich geradewegs den Vierzigern entstiegen. Aber Nylonstrümpfe undroter Lippenstift, wie Lily es vorgeschlagen hat, wären eindeutig zu viel des Guten.
Durch die Herrenabteilung, in der es inzwischen etwas ruhiger geworden ist als am Samstag, aber wo noch immer regerer Betrieb herrscht als in all den Monaten zuvor, trotte ich ins Warenlager zurück. Guy wartet heute mit einer Schiebermütze und einem klassischen Pullover von Pringle zu rosa Hemd, Krawatte und gerade geschnittener Hose auf. Sieht sehr cool aus. Er bemerkt mich gar nicht, als ich durch seine Abteilung gehe. Gedankenversunken steht er da, das Kinn in eine Hand gestützt, den Kopf zur Seite gelegt, und betrachtet die Schaufensterpuppe, die er gerade einkleidet. Er wirkt … glücklich. Und ich bin plötzlich stolz wie Oskar, etwas dazu beigetragen zu haben. Noch während ich ihn beobachte, klingelt sein Handy, und er meldet sich quietschvergnügt.
»Hallooo … Oh. Hallo, Paul.«
Vor Schreck bleibe ich wie angewurzelt stehen. Paul ist sein Exfreund, der ihn eiskalt abserviert hat, ausgerechnet an dem Tag, als sie den Mietvertrag für ihre Traumwohnung in Soho unterschreiben sollten, und Guy obdachlos und verzweifelt sitzen gelassen hat.
»Mir geht’s ganz famos, danke, mein Süßer«, zwitschert Guy. »Du? … Bitte, was? Ich habe gerade nicht zugehört … Ach, das ist aber schön … Momentchen mal, entschuldige, wartest du mal eben kurz?«
Worauf er dann das Telefon vom Ohr nimmt, es achtlos auf den Boden legt und sich in aller Gemütsruhe gut fünf Minuten dem Einkleiden des Mannequins widmet. Fasziniert von dieser mir gänzlich unbekannten Seite an Guy schaue ich ihm wie gebannt zu. Ihn so zu sehen, mitzubekommen, wie cool er mit dem Kerl umgeht, der ihm das Herz gebrochen hat – und schlimmer noch, ihm seinen Lebensmut genommen hat –, das ist unglaublich. Verblüffend, was so ein kleiner Schub fürs Selbstbewusstsein alles ausrichten kann bei einem Mann. Vor allem bei diesem speziellen Mann.
Und bei diesem Mädel, überlege ich mit einem Blick auf meine
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