Ein weites Feld
werden sollten. Irgendwas aus dieser Zeit muß bleiben! Nicht der Sohn, der Verleger ist nunmehr gefordert. Hier ist die Lage der Verlagshäuser mehr als prekär. Man hat sie, zwecks Privatisierung, unter die Fuchtel der Treuhand gestellt, ein dem ihr zugewiesenen Gebäudekomplex entsprechend gigantisches Unternehmen, dem ich nun mit lachendem und weinendem Auge zu Diensten bin. Immerhin hat man mir ein Zimmer eingeräumt, dessen Aussicht einen tristen Innenhof freigibt. Dieser Blick zwingt mich geradezu, in meinem an Dich gerichteten Jahresendbrief nochmals zur Sache zu kommen. Meine Vorträge, die von Mamas Hand säuberlich abgetippt wurden, sind so gut wie druckfertig. Von mir aus kannst Du Deines Vaters verflossenen Schweiß getrost als Paperback herausgeben. Muß ja nicht alles zwischen festen Deckeln auf den Buchmarkt kommen. Da ich in meinem Beitrag ›Was gehen uns die Eskimos an?‹ beiläufig auf ›Unwiederbringlich‹, also auf das Herrnhuter Missionswesen eingehe, sollte es Dir nicht schwerfallen, mich zwischen Deine weltweit heidenbekehrenden Traktate zu schummeln; auf Holkenäs mußte sogar die herrnhuterisch frömmelnde Gräfin Christine den einen oder anderen Einspruch, ob altlutherisch oder calvinistisch, erdulden. Den Rest allerdings hat sie als Irrglauben verdammt …« Nach diesem Brief riskierte Fonty einen Blick in den leblosen Innenhof, dann wechselte er von der Stahlfeder zum Bleistift.
27 Im Dienst der Treuhand
Weder Mitte November noch Ende Dezember sind sie bei McDonald’s gewesen. Ihr Einundsiebzigster gab für »Festivitäten« nicht genug her, wie Fonty uns gleich nach Jahresbeginn versicherte: »Bin nicht nur redensartlich gesellschaftsmüde, sondern in Wirklichkeit. Schon den Siebzigsten zu feiern war ridikül.« Dennoch haben ihn die nachträglichen Glückwünsche des Archivs erfreut. Wir schenkten ihm das Heft 42 unserer Gesamtreihe »Blätter«, in dem ihn eine kürzlich entdeckte Rezension des Romans »Quitt« amüsieren sollte, auch wenn sie seinem Gedächtnis nicht neu sein konnte; hatten wir ihn doch wiederholt über die »Hyperklugheit« der Kritiker spotten hören, in diesem Fall über Julius Hart: »Eigentlich weiß er immer schon vorher, was er sagen will …« Zudem galt sein seit »Irrungen, Wirrungen« triftiger Allgemeinbefund: »Alle Kritiken sind wie von Verbrechern geschrieben.« Ein wenig Spaß hatte er dennoch an dem Blättchen, wenngleich ihn die kommentierten Briefe, gerichtet an Moritz Lazarus, der, weil zur Dichtervereinigung Rütli gehörend, mit »Teuerster Leibniz« angeredet wurde, nachdenklich gestimmt haben: »Man traf sich von Zeit zu Zeit mit den Rütlionen privat, so auch bei Lazarus, der am Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik, wohnte. Ein Jammer, daß diese Freundschaft so häßlich enden mußte …« Als Fonty seine Lesebrille aufsetzte und einen kurzen Beitrag über den Jugendfreund Friedrich Witte überflog, erfuhren wir wie nebenbei, daß sein Tagundnachtschatten ihn mit dem sechsten Band der Hanser-Ausgabe – Balladen, Lieder und Gelegenheitsgedichte -beglückt habe: »Eine Fundgrube, in der allerdings das eine oder andere Schnellgereimte blamabel ist«; hingegen sei ihm, wie schon im Vorjahr, nur dieses Spielzeug für Groß und Klein, ein Puzzle, als Geburtstagsgeschenk eingefallen: »Nein, keine der uns versprochenen blühenden Landschaften ist abgebildet, vielmehr hat mein Präsent tausendteilig das nach Kriegsende gesprengte Stadtschloß zum Motiv. Für meinen Kumpan kein besonderes Problem. Schätze, daß er die frontale Ansicht des Schlüter-Baus in wenigen Stunden hingefummelt hat. Er macht das aus Passion mit Stoppuhr, mehrmals. Eine hübsche Illusion, die er immer wieder zum Salat aus Fragmenten verrührt. Muß gelegentlich für Nachschub sorgen. Sah kolossales Angebot im KaDeWe. Viel Preußisches dabei, Brandenburger Tor natürlich und Sanssouci. Hätte ihm gerne unseren Kasten an der ehemaligen Wilhelmstraße geschenkt. Das wär doch was: die Treuhand als Puzzle! Gab’s aber nicht.« Dann plauderten wir über seinen neuen Aufgabenbereich und ermunterten ihn, mit dem Namen seines Arbeitgebers spielerisch umzugehen. Aus bester Laune machte uns Fonty vor, wie Treuhänder im Handumdrehen zu Treuhändlern werden; wie bei der Treuhand eine Hand die andere wäscht; weshalb es fortan möglich sein wird, die Praxis der Veruntreuung von Volkseigentum mit Hilfe der Treuhand einzusegnen; und andere Wortspiele, nach deren Regeln man,
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