Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Schreibtisch liegt allem Renovierungslärm enthoben. Man muß nur die Augen schließen, und sogleich drängen sich Bilder auf. Ich ging hier, wie Du weißt, als Soldat ein und aus. Zum letzten Mal, als mich Deine so gütige grand-mère bereits liebgewonnen hatte und ich in meinem Glück eigentlich nicht mehr zurückwollte. Ach, Frankreich! Wenn nicht ins schottische Hochmoor, dann eilen meine Sehnsüchte immer wieder dorthin. Sie suchen die Ufer der Rhône und das see- und teichreiche Plateau la Dombes nach Erinnerungen ab, sie verflüchtigen sich auf den Höhen der Cevennen, sie finden Zuflucht, wie einst die bedrängten Hugenotten, in der wildzerklüfteten Gorge l’Ardèche, sie klopfen neuerdings an einem Haus vor einem Zypressenhügel an, das Du mir, namentlich als Madeleine, eröffnet hast … Und schon hat mich leichtfertige Brieflaune einerseits zum jüngsten Gegenstand Deines forschenden Fleißes geführt und andererseits Deinem Professor, mithin jenem Verhältnis angenähert, das Du, wie mir Dein letztes Briefchen verrät, als ›zunehmend schwierig‹ erleidest. Beides, der Einfluß der Hugenotten auf die deutschsprachige Literatur und die Bindung an einen Ehemann und Vater dreier Kinder, liegen auf zu weitem Feld: Du wirst ackern und rackern müssen. Bei all dem sollte meine zartbittre Person nicht nur auf die Gasconnaden des Unsterblichen fixiert sein, den übrigens Schlenther einen ›Neu-Ruppiner und Alt-Franzos‹ genannt hat, sondern auch den vortrefflichen Chamisso im Auge behalten, desgleichen Fouqué. Und unterdessen solltest Du vielleicht Deinen Professor ein wenig vernachlässigen oder ihn wechseln, wenn das Dein Herz erlaubt. Zudem sei Dir -so total vergessen er ist – ein gewisser Willibald Alexis empfohlen, dessen hugenottisch eingefärbte Familienchronik mir allzeit ein Füllhorn gewesen ist … Bleibt noch zu hoffen, daß uns das neue Jahr – komme, was wolle – wieder in Nähe bringt. So heftig ich mich der Stille meines Zimmers hingebe, es bleibt dabei: Du fehlst mir sehr …«
    Nicht alle Weihnachtspost war von dieser Länge und wurde so der Briefwaage zur Last. Da Fonty keine seiner Episteln ohne Bleistiftentwurf zu Papier gebracht hat, sind wir, was seine schriftlichen Zeugnisse betrifft, reich versorgt; und da uns mittlerweile viele Originalbriefe vorliegen und – dankenswerterweise -alles, was die Familie angeht, auswertbar ist, werden Vergleiche möglich, die zu erkennen geben, wie oft er verbessernd am spontanen Ausdruck gearbeitet und – treu seiner Devise – zum Schluß »den Stil angeputzt« hat, etwa in jener Passage, die den Bayreuther Festspielhügel und die Treuhandanstalt als Gesamtkunstwerk koppelt, wobei der Besuch des Unsterblichen in Bayreuth – »Man gab ›Parsifal‹« – nur im Entwurf herbeizitiert wird. In den Briefen an Martha ist die altmodische Schreibweise auffällig: »Weine, bitte, Deiner abgeschworenen Parteigenossenschaft keine Thräne nach …« Oder: »Mag sein, daß Grundmanns Thun und Lassen verwerflich ist …« Und selbst der Tiergarten kommt, sobald er schriftlich auflebt, nur mit »th« vor. In anderen Briefen verzichtet er auf die vorgestrige Rechtschreibung und bringt seine Erwartungen oder gar Forderungen kurzgefaßt auf den Punkt, so, wenn er den als Verleger tätigen Sohn zum wiederholten Mal anstößt, endlich einen prüfenden Blick auf des Vaters Kulturbundvorträge zu werfen: »Sei auf Treu und Glauben versichert, daß meine Beiträge zum kulturellen Erbe noch immer von taunasser Frische sind …« Das Archiv hätte diesen Lesereiz bestätigen können, aber in der von uns edierten Schriftenreihe fand sich kein Platz, weil wir unser Konzept allzu wissenschaftlich eng schnüren mußten. Dennoch wären wir gerne seinem Wunsch nach Veröffentlichung -und sei es durch Gutachten – behilflich gewesen, aber Fonty wollte keinen Beistand; er setzte auf seinen Sohn. Obgleich er dessen verlegerische Produkte uns gegenüber als »pietistischen Quark« verspottete, schrieb er ihm Brief nach Brief und zum Jahresende diesen Bettelbrief: »… Es darf durchaus ein schmaler Band werden. Wünsche mir sieben ausgewählte Vorträge in ganzer Länge. Dazugehören sollte das frühe Zeitbild ›Wie ein Apotheker versuchsweise auf die Barrikaden ging‹. Habe diesen Beitrag im Herbst 53 verfaßt und unter dem Eindruck der Juniereignisse geschrieben. Kein Wunder, daß die Zensur kräftige Striche verfügte, die nun, bei Drucklegung, wieder aufgehoben

Weitere Kostenlose Bücher