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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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berühren, und so ließen sie Charlie die allererste Nacht in seinem neuen Zuhause allein. Charlie machte die Tür hinter ihnen zu und bemerkte mit großer Genugtuung, dass das Haus bei seinem Spaziergang durch die Räume gar nicht leer und hohl wirkte und auch nicht so neu. Man hatte das Gefühl, als würde bereits jemand darin leben.
    In jener ersten Nacht in seinem neuen Haus saß er noch draußen auf seiner abgedunkelten Veranda, rauchte eine Lucky Strike und schaute dabei zu, wie auch die anderen Lichter auf den Veranden allmählich erloschen, bis nur noch eines übrig war, gegenüber und etwas weiter die Straße entlang, im Haus der alten Mrs. Entsminger, die in einem Schaukelstuhl auf ihrer Veranda saß, einen Schal um die Schultern. Ihr Enkel saß auf einem Hocker zu ihren Füßen und hatte eine Fiedel an sein Kinn gedrückt.
    Der Junge spielte acht Noten, und die alte Dame begann in der hohen Tonlage zu singen, wie sie hier in den Bergen die meisten Frauen hatten. In ihrer etwas brüchigen Stimme lag Traurigkeit, doch aus den Worten des Liedes sprach nur Hoffnung. Dieses Lied hatte sie schon gesungen, als sie ein Mädchen war, jünger als ihr Enkelsohn jetzt.

    The water is wide
I can’t cross over
And neither have
I wings to fly
Build me a boat
That can carry two
And both shall row
My love and I.
    In dem Lied lag eine wundervolle Traurigkeit, eine bittersüße Melancholie, die in den Bergen geboren war und sich wie ein sanfter Nebel durch das Tal wand. Irgendwann schien sich die Stimme zu verlieren, als wäre die alte Dame eingeschlafen oder hinge ihren Gedanken nach, doch der Junge spielte weiter, und als er noch eine weitere Strophe gespielt hatte, öffnete sie die Augen und tätschelte seinen Kopf. »Spiel zu Ende, Henry«, sagte sie. »Bring uns nach Hause.«
    Er war noch ein Junge, vielleicht elf oder zwölf, noch vor dem Stimmbruch, doch er hatte die Musik im Blut, und was er sang  – Worte, die viel älter waren, als er es vielleicht jemals werden würde  –, erfüllte Charlies Herz und veränderte es für immer.
    Oh love is handsome
And love is fine
The sweetest flower
When first it’s new
But love grows old
And waxes cold
And fades away
Like summer dew.

    Trotz seiner jungen Jahre und seiner Kinderstimme schien der Junge wirklich zu begreifen, was er da sang, und auch Charlie erkannte in dem Lied etwas, das er schon lange aus seinen Gedanken verbannt hatte.
    Die Stimme des Jungen erstarb. Er half seiner Großmutter beim Aufstehen und brachte sie hinein, dann erlosch ihr Licht auf der Veranda als letztes in dieser Nacht. Auch Charlie ging nach drinnen und zog die Tür hinter sich zu, schloss ab, grundlos, wie er durchaus wusste. Er stieg die Treppe hoch, mit einem Glas Whiskey in der Hand, entkleidete sich, legte sich auf sein Bett und trank in langsamen Schlucken den Whiskey. Alma hatte ihm gesagt, er solle niemals im Bett rauchen, doch er tat es trotzdem. Die leinernen Bettlaken waren alt und schwer, ohne zu warm zu sein, und er fühlte sich wohl in seinem Körper. Nur das große Pfostenbett, das Alma für ihn ausgesucht hatte, kam ihm für ihn allein viel zu groß vor.
    Als er seinen Whiskey getrunken hatte, sprach er seine Gebete und gedachte dabei, wie er es immer tat, eines jeden Menschen, den er jemals geliebt hatte, sah jedes Gesicht vor sich. Bevor er das Licht ausmachte, holte er sein Tagebuch, benetzte das Ende eines Bleistifts mit der Zunge, blätterte zum 30. September 1948 und schrieb: Main Street 126, Brownsburg, Virginia, USA. Mein Zuhause.
    Er klappte das Buch zu und richtete die Kissen so aus, dass keines davon seinen Körper berührte, während er schlief. Doch so sehr er sich auch drehte und wendete, so sehr er sich dem beruhigenden Surren seines neuen Ventilators von Sears hingab, er konnte nicht schlafen. Er versuchte es drei Stunden lang, dann gab er auf. Und so stand Charlie Beale aus dem Bett auf, machte es so ordentlich wie eine Krankenschwester, zog sich an, ging hinaus und ließ
den Motor seines Pick-ups an. Es war das einzige Geräusch in der Straße.
    Er fuhr auf sein Stück Land hinaus und breitete seine Steppdecke auf dem Boden aus. Es dauerte keine fünf Minuten, bis er eingeschlafen war, während die silbernen Fische des Flusses durch seine Träume schwammen.
    Als ihm das erste Licht des Tages in die Augen schien, erwachte er.

11. KAPITEL

    E s gab zwei Dinge, die Charlie Beale sich wünschte, doch eine Frau war nicht darunter.
    Das Erste, was

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