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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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Kirche. Ihre Stimmen erhoben sich, als sie zu der Stelle kamen: »Alleluja, not as orphans, are we left in sorrow now«, und dann nickten sie feierlich, während Reverend Morgan den Gang entlang schritt und dabei einen jeden von ihnen in seinen stählernen Blick einschloss. Dann verließen auch sie der Reihe nach die Kirche und traten hinaus in die frische, helle Morgenluft. Alles in allem hatte es eine Stunde gedauert. Nicht mehr und nicht weniger.
    Charlie konnte es kaum erwarten, hinauszukommen.
    Draußen vor der Kirche standen die Gemeindemitglieder noch eine Weile herum und plauderten, als hätten sie sich nicht jeden Tag der Woche gesehen, wie bereits ihr ganzes Leben zuvor. Jeder, der bei Will und Alma und Charlie stehen blieb, beugte sich gedankenverloren zu Sam hinab und strich ihm über den Kopf, zerzauste ihm das Haar. Bis auf
ein oder zwei Babys war er das jüngste Kind hier, der letzte Sprössling der Generation seiner Eltern, und die Leute waren ihm ganz besonders zugetan. Sam mochte es gern, wenn man ihm über den Kopf streichelte, oft drückte er die Stirn gegen die Hände, die ihn berührten, und lächelte zu den Menschen empor, fragte sie mit aufrichtigem Interesse und Betroffenheit, wie es ihnen gehe.
    Boaty und Sylvan Glass gingen nicht umher; sie standen nur an einem schattigen Plätzchen, und alle kamen zu ihnen, um sie zu begrüßen, blieben jedoch nur einen Moment stehen. Sylvan lächelte. Ihre Lippen waren rot geschminkt, ihre Augen jedoch unter ihrer Hutkrempe und der tiefdunklen Schildpattsonnenbrille verborgen.
    Als es an Charlie war, mit ihnen zu reden, konnte er den Blick nicht von ihr wenden. Er schaffte es nicht einmal, so zu tun, als würde er Boaty anschauen, und hörte nichts von dem, was er sagte. Er hätte so gerne ihre Augen gesehen, ihre grünen Augen, wünschte sich nichts so sehr, als dass sie ihn ansehen und etwas sagen würde, irgendetwas, doch sie tat es nicht. Sie sprach nur mit Alma, und auch das kaum, und so bemerkte niemand, wie Charlie sie anstarrte, nicht einmal Boaty, der wahrscheinlich sowieso daran gewöhnt war, dass man seine Frau anstarrte. Niemand bemerkte es außer Sam, jedoch aus anderen Gründen, Gründen, die der Junge nicht hätte benennen können. Als hätte er Sylvan noch nie zuvor gesehen oder als würde er diese auffallend glamouröse Frau nicht mit der Frau in Verbindung bringen, die er nur drei Tage zuvor auf der Veranda eines großen weißen Farmhauses hatte warten sehen.
    Von allen Erwachsenen berührten nur Boaty und Sylvan Sam nicht am Kopf, sie lächelten ihn nicht an und fragten, wie es ihm gehe, als wäre er bereits erwachsen, und er
stand da und wünschte sich, ihre kleine weiße Hand an seinem Kopf zu spüren, zu spüren, wie die Finger mit den roten Nägeln ihm durchs Haar fuhren. Es war ein körperlicher Wunsch, und das war etwas, das er noch nie empfunden hatte. Er wollte Charlie sein, so groß wie er, wollte ihr so intensiv in die Augen schauen, auch wenn sie seinen Blick nie erwiderte. Er wollte wissen, was Charlie sah, wenn er sie anschaute, worüber sie an jenem Tag geredet hatten, als sich die Tür hinter ihnen schloss, denn geredet haben mussten sie; das war es schließlich, was Erwachsene taten.
    Vielleicht hatten sie Radio gehört. Vielleicht hatten sie Zeitung gelesen. Er wusste nicht, was sie getan hatten, aber er wollte es wissen.
    Sam beobachtete sie, wie sie mit seiner Mutter sprach, während Charlie sie anstarrte, nach ihrem Blick suchte, und urplötzlich wusste Sam, dass Männer anders waren als Frauen und dass die Männer etwas von ihnen wollten, was er nicht hätte benennen können, dass die Frauen etwas hatten, was die Männer wollten und das sie immer versuchen würden zu erlangen. Dieser Gedanke war ihm noch nie gekommen.
    Er wusste, dass seine Mutter und sein Vater sich unterschiedlich kleideten, wie alle Mütter und Väter, und dass sie über unterschiedliche Dinge redeten, mit ihm wie auch miteinander. Doch ihm war es immer so vorgekommen, als bestehe kein grundlegender Unterschied zwischen ihnen. Nun jedoch wusste er, dass dies doch der Fall war. Er wusste nicht, welcher Unterschied es war, doch er wusste, dass er existierte und daran bemessen werden konnte, wie Charlie dort im Kirchhof einen Blick von Sylvan Glass zu erhaschen suchte. Es erinnerte ihn an die Art und Weise, wie ein Beagle erstarrte, wenn er die Witterung eines Vogels aufnahm,
ein Hund, der vor Erregung zittert, nur weil er weiß, dass da irgendwo

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