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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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dieses Tier ist, unsichtbar, wie gebannt im Gebüsch.
    Es dauerte nicht länger als ein paar Sekunden. Seine Mutter nahm ihn an der Hand. Und sie gingen weiter  – zu anderen Familien, anderen Männern und Frauen und Kindern, die ihm alle vertraut waren. In Charlies Augen erlosch das Licht, und an seine Stelle trat ein wärmerer, angenehmerer Schein, wie das Licht in Jackie Robinsons Augen, wenn der Vogel weggeflattert und seine Witterung verflogen war. Doch Sam hatte es gesehen, und er wusste, dass es Charlie angeboren war, wie ein Teil seiner Natur, so wie es Jackie Robinson angeboren war. Und er wusste auch, dass er es wieder bei ihm sehen würde.
    Auf dem Weg nach Hause wandte sich Charlie an Alma. »Tut mir leid, aber dort gehe ich nicht mehr hin.«
    »Na ja, dieser Morgan ist ein zäher alter Brocken, das ist gewiss«, erwiderte Will. »Aber ich höre ihn schon seit vierzig Jahren diesen Mist von sich geben, und er hat mir immer noch keine Angst einjagen können.«
    »Will«, sagte Alma. »Nicht so. Hör nicht auf deinen Vater, Sam. Sie haben recht, Mr. Beale, manchmal ist er schwer zu ertragen. Ein bisschen fanatisch. Aber unterm Strich tut er Ihnen gut. Und, wie ich sagte, alle gehen hin.«
    »Mrs. Haislett«, erwiderte Charlie. »Ich will nicht respektlos sein. Ich versuche auch, ein guter Mensch zu sein. Das Richtige zu tun. Aber ich werde nicht ein Mal in der Woche dorthin gehen und mich von einem alten Mann zusammenstauchen lassen, was für ein schlechter und schrecklicher Mensch ich bin. Höllenfeuer und so weiter. Ich glaube nicht dran. Und so was brauche ich mir nicht anzuhören.«
    »Dann versuchen Sie es mit einer anderen Kirche. Es ist
mir nicht wichtig, wohin Sie gehen, solange Sie gehen. Ich glaube auch nicht an die Hölle, nein, daran glaube ich nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich an den Himmel glaube. Aber ich glaube an das Gute im Menschen. Und ich finde, das ist das Einzige, worauf es ankommt. Es ist das Einzige, woran man sich erinnern wird, wenn wir nicht mehr da sind. Es ist das einzige Guthaben, das wir auf der Bank des Lebens haben  – lach nicht, Will  –, und die Kirche ist einfach nur der Ort, den man einmal in der Woche besucht und in dem man darüber nachdenkt, ob man nun der Mensch ist, der man gerne sein wollte, und wo man versuchen kann zu ermessen, wie weit man von diesem Menschen noch entfernt ist. Ich höre Morgan gar nicht mehr richtig zu. Ich sitze nur still da und lausche meinem Herzen, meinen eigenen Gedanken. Sie können hingehen, wo Sie wollen, solange Sie irgendwo hingehen. In der Stadt wird es erwartet, und ich würde mich darüber freuen.«
    Und das tat Charlie. In den nächsten paar Wochen probierte er die anderen Kirchen aus und stellte fest, dass auch dort überall nur von der Hölle geredet wurde. Selbst bei den Mitgliedern der Episkopalkirche, die hochanständig und eher wohlhabend und ruhig waren und die ihn warmherzig in ihrer kleinen Gemeinde willkommenhießen und zu sich zum Essen einluden. Selbst sie redeten von der Hölle.
    »Wisst ihr, was die Hölle ist?«, fragte ihr Pfarrer, Mr. Farrar, beim zweiten Mal, als Charlie es dort ausprobierte. »Die Hölle ist euer Herz. Sie ist das Blut in euren Adern. Sie ist das, was ihr seid, wenn ihr nicht auf das Wort Gottes hört. Die Hölle, das seid ihr.« Farrar schrie sie nicht an wie Morgan. Bei der Episkopalkirche tat man das nicht.
    Er sprach mit einer traurigen, warmen Stimme, als wollte er nichts anderes, als seine Schäflein vor der schrecklichen
und unvermeidlichen Wahrheit zu beschützen. Doch sie blieb dennoch nicht unausgesprochen, und das Roastbeef hinterher schmeckte talgig in Charlies Mund, obwohl er es erst zwei Tage zuvor selbst aufgeschnitten und den Gadsden-Schwestern verkauft hatte. Er erwiderte freundlich ihr mädchenhaftes Geplauder, hatte dabei jedoch die ganze Zeit, während er lächelte und schäkerte, das unangenehme Gefühl, in viel zu engen Kleidern zu stecken, als trüge er die Unterwäsche eines anderen Mannes.
    Jede Kirche besuchte er mindestens ein Mal. Die Episkopalkirche bekam zwei Chancen. Und am Sonntagabend erzählte er Will und Alma alles. Mittlerweile saß man in der Küche zusammen, weil es auf der Veranda zu kalt wurde und es früh dunkel war.
    »Machen Sie weiter, Mr. Beale. Sie werden es hören. Und wenn nicht, sitzen Sie einfach nur ganz still da und hören Sie auf Ihr eigenes Herz.«
    Am Ende hatte er alle weißen Kirchen durch und marschierte eines Sonntags durch

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