Ein wildes Herz
auch, alles würde gut werden, was auch immer geschah. Er wusste, das, was er tat, war richtig. Er war dort, wo er hingehörte. Er war endlich zu Hause, am glücklichen und erfüllten Ende seiner langen, beschwerlichen Reise.
Er war daheim.
TEIL ZWEI
DER GEFANGENE DER SÜNDE
15. KAPITEL
W ir haben Sie am Sonntag beim Essen vermisst«, war alles, was Will am nächsten Morgen sagte. Charlie erwiderte nichts, sondern schliff nur weiter seine Messer.
»Alma hat Sie auch vermisst. Und Sam hat nach Ihnen gefragt, stimmt’s, mein Sohn?«
»Auf den Comic-Seiten gibt es was Neues«, sagte Sam. »Roy Rogers. Das wollte ich dir zeigen.«
Der Mann und der Junge schauten ihn an, doch Charlie gab lange keine Antwort.
»Hatte zu tun«, sagte er schließlich. »Im Haus. Muss mich ja um alles selber kümmern.«
»Na ja, Sohn, wir bemühen uns, verstehen Sie. Alma und ich.« Will klang etwas gereizt.
»Das weiß ich, Will. Und ich bin dankbar dafür. Bloß muss ich manchmal einfach allein sein. Für mich.«
»Es ist nicht richtig, wissen Sie. Da ist etwas dran, das nicht richtig ist. Diese Leute …«
»Mir gefällt es.«
»Sie wissen, dass Sie dort nicht erwünscht sind.«
»Dann wird man mir das sagen.« Charlie hoffte sehr, dass das nicht geschehen würde. Er ging jetzt seit drei Wochen dorthin und hoffte inbrünstig, sie würden ihm nicht irgendwann
sagen, er dürfe nicht mehr kommen, besonders da die Frauen aus der Kirche jeden Montag früh in den Laden kamen, so wie sie es immer taten, und manche sogar sagten, es sei nett gewesen, ihn gestern beim Gottesdienst zu sehen.
Aber dann teilten sie es ihm doch mit.
Am vierten Sonntag, gleich nachdem Charlie vom Gottesdienst nach Hause gekommen war und sich umgezogen hatte, saß er draußen auf seiner Veranda und ließ sich das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen, als Lewis Shadwell sich dem Haus zu Fuß näherte und damit in einen Teil der Stadt vordrang, den Schwarze nie besuchten, außer um die Häuser der Weißen zu putzen. Er trat an die unterste Stufe von Charlies Veranda. In seinem Gesicht leuchtete noch immer die Inbrunst, mit der er kurz zuvor seiner Gemeinde gepredigt hatte.
Shadwell war achtundzwanzig Jahre alt, dunkelhäutig, ein wenig schwer, aber kräftig, wie man sah. Damals war er noch nicht der Heißsporn, der er später werden würde, ein Mann, der Sit-ins und Demonstrationen leitete und überall in der Zeitung zu sehen war. An jenem Sonntag jedoch war er einfach nur ein netter, gottesfürchtiger junger Mann, bescheiden und von sanfter Natur, was er auch lange noch bleiben sollte, bis das Leben es ihn anders lehrte. Er trug eine Brille mit Goldrand, und sein Priesterkragen war weiß und gestärkt und saß etwas eng um seinen dunklen, dicken Hals, als wäre er ihm angepasst worden, als er aus dem Priesterseminar kam und einige Kilo weniger auf den Rippen hatte.
»Schönen guten Tag, Reverend Shadwell«, sagte Charlie und erhob sich. »Bitte. Kommen Sie doch herauf. Nein, zum Draußensitzen ist es etwas kalt, also gehen wir besser rein.«
Sie traten ins Wohnzimmer, und Shadwell nahm auf dem Sofa Platz, ohne seinen Mantel abzulegen, als hätte er gar
nicht vor, lange zu bleiben. Ihm schien sehr unbehaglich zumute zu sein, der Mantel staute sich um seine Leibesmitte, und der Hund schnüffelte an seinen Füßen. Charlie wusste nicht, was er ihm anbieten sollte, deshalb wartete er einfach ab.
Shadwell räusperte sich. Und wieder. »Es ist Folgendes …«, sagte er und hielt dann inne, als wüsste er nicht genau, wie er weitermachen sollte und worum es überhaupt ging. Dabei wussten er und Charlie das sehr wohl. »Was ich sagen wollte: Wir wissen es sehr zu schätzen.«
»Ich hätte länger bleiben sollen«, sagte Charlie. »Ich hätte einige von den Leuten begrüßen sollen. Entschuldigen Sie.«
»Keine Ursache. Sie nehmen sich, was Sie brauchen, und lassen den Rest einfach, das ist in Ordnung. Tatsache ist jedoch, dass wir uns besprochen haben, die Ältesten der Gemeinde und ich, und wir halten es für keine gute Idee. Es geht einfach nicht. Es tut mir leid.«
»Sie wissen, dass ich nirgendwo anders mehr hin kann. Das wissen Sie.«
»Man hat es mir gesagt. Und das ist schade. Jeder Mensch sollte ein spirituelles Leben haben. Mich hat es gerettet vor dem … Niedergang. Und auch Sie könnte es retten, wenn Sie der Rettung bedürfen, aber das kann ich nicht beurteilen, und nehmen Sie es mir nicht übel …«
»Ich nehme es Ihnen nicht
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