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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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nicht einschlafen. Dann kam es ihm vor, als würde er eine lange Treppe hochsteigen, und jede Stufe war eine Frage, bis er über die letzte Stufe trat und
in die Dunkelheit fiel, und jeden Morgen war er dann überrascht und froh darüber, in seinem Bett zu liegen, in seinem Zimmer, und die Hand seiner Mutter auf seinem Haar, ihren Kuss auf seiner Stirn in genau dem Moment zu spüren, wenn er die Augen öffnete. Und in dem Augenblick, wo er das Licht sah, fielen ihm all die Fragen, die ihn die Treppe hoch und in die Dunkelheit geführt hatten, nicht mehr ein.
    Wenn er über den Captain-America-Comics oder draußen im Garten saß und Jackie Robinson dabei zusah, wie er überall schnüffelte, hatte er eine Million Fragen. Etwa, warum es heiß oder kalt war, oder wohin der lange Ameisenzug ging, wo diese Insekten lebten und was sie fraßen. Und warum eigentlich, zumindest schien es ihm so, im Winter alles zum Stillstand kam und sich im Sommer alles bewegte, während Jackie Robinson hingegen zu jeder Jahreszeit immer etwas wahrzunehmen schien, das in Bewegung war, und für ihn immer etwas geschah, was Sam nicht sehen konnte. Doch er war nicht hier, um Fragen zu stellen. Er wusste, dass seine Fragen keine Rolle spielten. Nicht hier. Nicht mit ihnen im Haus, wo auch immer sie waren. Nein, seine Rolle hier war zu warten, und das tat er, immer, und so kam es, dass Sam, wenn Charlie wieder auftauchte, die Schuhe in der Hand, und sich das Hemd in die Hose steckte, vergessen hatte, was er eigentlich hatte fragen wollen.
    Eines Tages jedoch, am Schlachthaus-Tag, als es bereits dunkel zu werden begann, etwa sechs Wochen, nachdem sie begonnen hatten, nach Pickfair zu kommen, war Sam im Garten und hatte vergessen, welche Rolle er in der Vereinbarung spielte. Er vergaß, dass er draußen bleiben sollte. Er vergaß, dass sie die Treppe hoch und an jenen Ort gegangen waren, an dem er nichts zu suchen hatte.
    Es war regnerisch. Sam war müde. Jackie Robinson war
auf irgendeiner Fährte, ein Kaninchen, ein wilder Truthahn oder eine anderen Witterung, und Sam vergaß, dass sein Teil der Vereinbarung darin bestand zu warten. Einfach nur zu warten.
    Er wollte nach Hause. Plötzlich hatte er Sehnsucht nach seiner Mutter und seinem Vater und seinem eigenen Haus, mehr als alles auf der Welt, mehr als Kekse oder Comics.
    Und so ging er ins Haus, hinein in die Wärme und das Licht und den Geruch nach frisch Gebackenem, und wollte wissen, wo sie waren, damit er Charlie sagen konnte, es tue ihm leid, aber er müsse nach Hause.
    Er lauschte, aber es war nichts zu hören. Er wanderte durch die Zimmer im Erdgeschoss des Hauses, Zimmer, in denen kein Licht brannte, sodass er kaum etwas erkennen konnte, und dort waren sie nicht. Sie waren oben, wo er noch nie gewesen war. Und in diesem Moment bekam er es mit der Angst zu tun.
    Einmal hatte er einen Traum gehabt. Es war ein böser Traum gewesen, und als er aufwachte, befand er sich nicht mehr in seinem eigenen Zimmer. Er war allein im Dunkeln eines fremden Hauses, und etwas war geschehen. Etwas Schlimmes war geschehen, sein Vater war gestorben oder seine Mutter, oder sie hatten beschlossen, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollten, und ihn nachts in Decken eingewickelt, irgendwohin gebracht und zurückgelassen.
    Er hatte zu weinen begonnen, ganz, ganz leise, weil er sich in diesem neuen Haus so fürchtete, vor den Leuten, auf die er am Morgen treffen würde, Leuten, die ihn nicht kannten und auch nicht wussten, wie sie mit ihm umgehen sollten. Doch er machte keine Geräusche beim Weinen, weil er die neuen Leute nicht wecken wollte, wer auch immer sie waren, wo auch immer sie schliefen.

    Und so lag er die ganze Nacht wach, bis das erste graue Licht dämmerte und die Finsternis erhellte, bis die Fensterrahmen, die ihm nicht vertraut waren und die an den falschen Stellen platziert waren, langsam zu sehen waren. Das Grau wurde zu einem blassen Rosa, dann zu Orange, und er wusste, dass er das Aufwachen nicht länger aufschieben konnte, und so öffnete er die Augen, ganz, ganz langsam, zuerst einen Spalt, solche Angst hatte er, und dann sah er die Fenster und die Vorhänge und die Tapete, die schrecklich vertraut und zugleich ganz fremd waren.
    Der Nachttisch stand zu seinen Füßen und dort, gleich neben dem Kopfende, wo seine Mutter immer die Kissen für ihn aufschüttelte, wenn sie ihm eine Gutenachtgeschichte vorlas, stand auch die Lampe mit dem Papierschirm.
    Und dann wusste er, was los war. Er lag

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