Ein wildes Herz
damit Sam das Herz gebrochen, denn wenn die Dodgers verloren, dann hatte auch Jackie Robinson persönlich verloren, und dennoch war der Gedanke an das allererste Baseballspiel unter Flutlicht aufregend für ihn und Charlie; sie stellten sich vor, wie das Gras in diesem strahlenden Grün leuchtete, all die weißen Männer und Jackie, ein Schwarzer, der mittlerweile zusammen mit anderen schwarzen Männern das Spielfeld betrat, Newcombe, Campanella, alle Männer wie in Zeitlupe, wie sie ihre Augen vor dem ungewohnt grellen Licht beschirmten, und das Leuchten des Baseball war noch leuchtender geworden. Joe Page, der Fireman, war zum MVP, zum wichtigsten Spieler, ernannt worden, und
Jackie Robinson war nach Hause zu seiner Frau gegangen. Sie waren alle nach Hause gegangen, so wie sie es jeden Oktober taten, ob nun als Gewinner oder als Verlierer. Aber Sam nahm es persönlich.
Nach einem dieser Nachmittage fuhren Charlie und Ned nach Lexington hinüber. Ned musste fahren, weil Charlie heftig zitterte, weil er rauchte, im Führerhaus ein Bier trank und sein Hemd immer noch mit Tierblut beschmiert war. Sie waren mit Charlies neuem Anwalt verabredet, einem Mann namens Cully Blake, hager und herausgeputzt und mit rotem Gesicht. Er war bereits jetzt betrunken, war es schon seit zehn Uhr morgens, so wie jeden Tag. Cully Blake war weiß, sauber rasiert und hatte polierte Fingernägel, er trug makellos gestärkte Hemden und war jeden Tag ab zehn Uhr morgens hackevoll, worin er sich nicht allzu sehr von vielen Südstaaten-Männern seiner Herkunft und seiner Zeit unterschied und was ihn in keiner Weise in der Ausübung seines Jobs beeinträchtigte, der so und so nur sehr lau lief. Cully war ein fauler Mann aus gutem Hause, intelligent, aber antriebslos. Er schaute sich diese beiden reichlich unähnlichen Brüder an, die da am Ende des Tages in seinem Büro saßen, und fragte sich jetzt schon, ob sie seine Rechnung wohl bezahlen würden.
Als hätte er es geahnt, zog Charlie fünfhundert Dollar in bar aus der Tasche und legte das Geld auf den Tisch. »Meinen Sie, das ist genug, Mr. Blake?«, fragte er, und Cully wusste, es würde genügen, ohne es auch nur zu zählen. Einen Haufen Geld hatte er vorher auch schon gesehen.
»Sagen Sie mir, was passiert ist, Charlie. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich Sie Charlie nenne?«
»Macht es schon. Das ist mein Geld da auf dem Tisch, Mr. Blake.«
»Dann also Mr. Beale. Sir. Sagen Sie mir, was passiert ist.«
»Ich hab’s nicht getan.«
»Was haben Sie denn getan? Normalerweise hat der Mann in solchen Fällen etwas getan, selbst wenn er nicht das getan hat, was die Frau behauptet.«
»Ich hab nichts verbrochen. Und ich werde nicht darüber reden.«
»Mrs. Glass sagt …«
»Erwähnen Sie mir gegenüber nie mehr diesen Namen.«
»Das wird wohl ein bisschen schwierig.«
»Schwierig oder nicht, es ist, wie es ist.«
»Sie wird vor Gericht eine Aussage machen. Und Dinge sagen, die Sie in der Öffentlichkeit bestimmt lieber nicht gesagt haben möchten.«
»Was auch immer sie sagt, ist das, was geschehen ist.«
»Sie sehen schuldig aus, Mister Beale«, sagte Blake und dachte bereits an sein nächstes Glas Whiskey. »Sie sehen aus wie ein Mann, der Dreck am Stecken hat.«
»Könnte sein. Jeder Mann hat doch irgendwie Dreck am Stecken. Ich hab auch Sachen gemacht. Jede Menge Sachen. Aber das hab ich nicht gemacht. Das hier hab ich nicht getan. Guten Abend, Mister Blake. Lassen Sie mich wissen, wann ich vor Gericht zu erscheinen habe.«
Sie fuhren in der herbstlichen Dunkelheit nach Hause. Während er noch ein Bier trank, dachte Charlie: Wie kannst du so viel von dir geben, ohne zu lieben? Wie kannst du all das mit deinem Körper tun, deinen Lippen, deinen Brüsten, deiner Zunge, und nicht wenigstens eine Spur Liebe in deinem Herzen verspüren? Er war verwirrt, aufgewühlt und noch verwirrter, je mehr Bier er trank – er, der sich aus Alkohol sonst nicht viel machte, war zum ersten Mal nach langer Zeit auf dem besten Wege, sich zu betrinken.
Sie blieben lange auf und tranken in der Dunkelheit von Charlies Küche, ab und zu sagte Ned leise etwas. Charlie weinte, manchmal liefen ihm in dieser schrecklichen Stille einfach nur die Tränen übers Gesicht, oder er schluchzte, ein großes, tiefes Schluchzen.
Und alles, was er sagte, oder genauer gesagt lallte, bevor er in sein Bett torkelte, war: »Hab nix gemacht. Gar nix.«
27. KAPITEL
N ein, Sir.«
Ein sechsjähriger Junge
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