Eindeutig Liebe - Roman
trüben Licht. Trotz ihrer Notlage entfuhr ihr ein leises Lachen.
Ich stand auf und setzte mich neben sie. »Miss Walker, was um alles in der Welt machen Sie alleine auf diesem Korridor? Wo ist Ihr Begleiter? Was ist passiert?« Ich zog ihre Beine unter ihrem Kleid hervor und legte sie auf meinen Schoß.
»Ich habe keinen Begleiter mehr«, sagte sie mit einem Kloß im Hals. Dann nahm sie einen tiefen Zug von der Zigarette und reichte sie mir.
Mist!
»Was? Was ist passiert?« Meine Rede vorhin hatte offensichtlich nichts bewirkt.
Sienna lehnte sich wieder an die Wand, und durch den Winkel, in dem sie saß, bauschte sich das Kleid an ihrem Hals. »Er hat gemeint, sein Leben sei im Moment zu schwierig und er könne mir nicht geben, was ich bräuchte«, antwortete sie, nahm die Zigarette wieder an sich und zog daran. Die Glut war schon gefährlich nahe an den bösen Buchstaben am Ende. Ich nahm ihr die Kippe ab und warf sie aus dem offenen Fenster neben uns. Sienna hickste.
»Heilige Scheiße, Sienna. Das … das tut mir echt leid«, versicherte ich ihr und legte ihre Arme um meinen Hals.
»Schon okay. Nicht deine Schuld«, erwiderte sie mit ihrer herrlichen Stimme. Sie klang wie eine moderne Audrey Hepburn.
»Na, ich liebe dich noch immer, Panda Pop«, sagte ich und fuhr tröstend mit der Hand durch ihren Pony.
Sie sagte nichts, drückte aber meine Hand ein wenig fester. »Werde ich je einen netten Mann finden, Nick? Ich meine, ich bin schon vierundzwanzig, mein Gott«, rief sie, ohne zu ahnen, wie schrecklich jung sie war und wie viel sie noch vor sich hatte.
»Natürlich. Du bist eine tolle Frau, und ich glaube, du verdienst mehr als nur einen ›netten‹ Mann. Nett ist ein echt blödes Wort …«, setzte ich an.
»Es ist langweilig, ein bisschen wie ein trockenes Brötchen«, kicherte sie und äffte dabei meine Stimme nach. Ich hatte mich schon ein paarmal hinsichtlich dieses Begriffes geäußert. »Nein, ernsthaft – was soll ich nur machen?« Sie sah mich leer an. Es war, als hätte sie so viel geweint, dass nichts mehr übrig war außer hilflosen Fragen.
»Ich wünschte, ich wüsste die Antwort, Sienna. Der Mann, den du heiraten wirst, wandelt auf dieser Erde. Er lebt, in diesem Moment, irgendwo. Er könnte in Australien mit seinen Freunden auf Rucksacktour sein; er könnte in einer Bar in China arbeiten; er könnte ein aufstrebender amerikanischer Anwalt sein – oder ein Musiker; er könnte seinem Alltag in London nachgehen … Jeden Tag können sich eure Wege kreuzen.« Sie lächelte, als ich das sagte, als wäre es ihr wirklich ein Trost.
»Wo ist dein Zimmer?«, erkundigte ich mich. »Ich möchte nicht, dass du hier herumliegst und in einem engen Hotelflur erstickst. Außerdem hast du so ein tolles Kleid, Si, es ist einfach atemberaubend, aber wenn du so weitermachst, stinkt es nachher wie ein Aschenbecher. Wo hast du es eigentlich her?«, fragte ich und wischte mit dem Daumen über einen schwarzen Fleck in ihrem Gesicht. Er verschmierte wie Holzkohle.
Sie kicherte wieder. »Äh … das ist eine lange Geschichte. Na ja, mir wurde versichert, dieses Kleid würde mein Leben verändern, aber so hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Ich habe Zimmer 204, glaube ich«, wechselte sie rasch das Thema und fixierte mit zusammengekniffenen Augen den Schlüssel, den sie sich vors Gesicht hielt. Was wollte sie in Bezug auf das Kleid sagen? Im Augenblick bekam ich kein klares Wort aus ihr heraus.
»Nick, ich will nicht ins Zimmer. Kann ich nicht hierbleiben? Allein? Bitte.« Sie benahm sich sehr seltsam. Aber Menschen benehmen sich seltsam, wenn sie verletzt und wütend sind.
»Nein, auf keinen Fall«, widersprach ich, stand auf und hielt sie dabei in den Armen. Sie war leicht wie eine Feder.
Mit einer Hand zog sie das Band aus ihrem Haar, sodass es sich entfaltete, als sie erschöpft den Kopf in den Nacken legte. Lange Stoffbahnen folgten uns wie der Schwanz eines grünen Drachens. Es war wunderschön. Ich wünschte, jemand könnte ein Foto machen.
»Ruf mich nicht an. Niemals.«
Nick
Mit dem Teller ging es los. Als ich vom Einkaufen zurückkam, stand Chloe in der Küche und hielt ihn fest in den Händen. Ich hatte nur Kreuzkümmel und Brot besorgt, und kaum kam ich zur Tür herein, sauste das verdammte Ding durch den Raum, verfehlte knapp mein Ohr und zerbarst an der Wand hinter mir in tausend Stücke.
»Was ist denn jetzt los, Chloe?«, brüllte ich. Ich stand im Flur und bebte vor Wut.
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