Eindeutig Liebe - Roman
und schaute mich an, als wäre ich zu zerbrechlich, um erfahren zu dürfen, was als Nächstes geschehen war. Doch schließlich fuhr er fort: »Ich habe meine ganze Zeit in dieser verrückten Welt verbracht, wo alles sich drehte und zuckte, und wenn sie wieder anzuhalten drohte, wusste ich, dass ich nüchtern wurde und der Schmerz zurückkommen würde.« Die Erinnerung daran ließ ihn leise und unbehaglich auflachen.
»Also hast du dich letzten Endes selbst behandelt?«, fragte ich. Ein Eichhörnchen kam vorbei und sprang um meine Füße, fand einen Brotkrümel, stibitzte ihn und schoss damit den nächsten Baum hoch.
»Ja, mehr oder weniger. Freitag- und Samstagnacht waren immer am schlimmsten. Ich hing vor den Klubs herum und tanzte einfach zu der Musik, die auf die Straße drang. Leute kamen und tanzten mit mir; manchmal lachten sie dabei, manchmal weinten sie. Ich wurde zu einer Art Attraktion für die Betrunkenen, die aus den Bars und Nachtklubs kamen.«
Ich stellte mir vor, wie seine schlanke Gestalt im Rhythmus irgendeines Basses aus der Ferne herumzuckte. Ich stellte mir vor, wie die betrunkenen Rüpel auf ihn zeigten und lachten. Ich stellte mir die Mädchen mit den gebrochenen Herzen vor, die seine Hand nahmen und sich mit ihm im Dunkeln hin und her bewegten, während ihnen die Tränen über die Wangen liefen. Ich konnte mir all das vorstellen. Sie mussten ihn für eine Art Pausenclown gehalten haben. Für jemanden, den sie verspotten konnten, um damit ihre Freunde zu beeindrucken.
»Ich muss wie ein richtiger Idiot ausgesehen haben. All die Dinge, die die Leute zu mir sagten, Si … Es tat sehr weh, aber ich scherte mich nicht darum. Da war ein Lied, das Lied, das Jenny und ich so sehr geliebt hatten. Wir legten es in der Küche auf und rannten herum wie die wilden Tiere. Das waren einige der glücklichsten Augenblicke in meinem Leben.« Er lächelte, und allein ihn zu beobachten vertrieb die Kälte.
»Es hieß You Get What You Give. Du bekommst, was du gibst …« Er schwieg, als wäre der nächste Schritt zu schwierig. Dann begann er den Text vor sich hinzuflüstern: » You’ve got the music in you, don’t let go … «
»Ich kenne das Lied. Ich liebe es! Es ist von den New Radicals, stimmt’s?«, rief ich und klatschte vor Freude in die Hände.
»Ja, es ist toll, oder? Na, eines Nachts stand ich vor der Bar an der Ecke hier, als sie plötzlich das Lied spielten. Ich war so drauf, dass ich dachte, sie wäre bei mir. Ich tanzte und tanzte, es kam mir vor, als würde ich nie wieder aufhören. In meiner Vorstellung hielt ich sie eng umschlugen.« Seine Augen wurden feucht, und er hob die Arme, als würde er eine Frau festhalten. Seine Frau.
Sein Schmerz lag so dicht unter der Oberfläche, dass es war, als würde durch einen einzigen Nadelstich alles herausschießen wie Wasser aus einem Ballon. »Was ist dann passiert?«, fragte ich. Ich war so sehr in unser Gespräch vertieft, dass alles andere nicht mehr zu existieren schien. Die Termine, die Redaktion, Dad, Nick – alles war plötzlich ganz weit weg.
»Das Lied ging zu Ende, und ich begriff, dass all das nicht real gewesen war. Plötzlich holte der Song, der mir gerade noch so viel Freude bereitet hatte, den ganzen Schmerz hervor, so intensiv, dass selbst meine Trunkenheit ihn nicht mehr abstumpfen konnte. Deshalb tanzte ich einfach weiter, obwohl alles ruhig war. Wie ein Bekloppter. Ich wollte das Gefühl nicht loslassen, verstehst du?«
Es folgte ein Moment der Stille. Plötzlich dachte ich an die Songs, die Dan für mich schrieb. Songs, die er mir auf der Gitarre vorspielte, in seinem Zimmer aufnahm und mir dann als Sammlung bunter CDs mit der Post zuschickte. Er wohnte nur ein paar Minuten entfernt, aber das mit der Post hatte etwas Romantisches – na ja, das behauptete er wenigstens. Ich wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn ich im Zug saß und einer dieser Songs aus meinen Ohrstöpseln kam. Ich kannte diesen Stich in der Magengrube. Ich kannte das Gefühl, ihn beinahe riechen und spüren zu können. Dabei war Dan schon irgendwie ein Idiot. Zumindest würde er niemals mein Mann oder der Vater meines Kindes sein, nicht einmal jemand, mit dem ich zusammengelebt und den ich verloren hatte. Ich liebte ihn nicht einmal. Ich sondierte das Terrain. Er war nur ein blöder Kerl, der mich oft zum Weinen brachte. Ein blöder Kerl, der mich anlog und »Ich liebe dich«, sagte, weil ihm nichts Besseres einfiel.
Ich war seine dämlichen
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