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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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schlappmachen, wo sie ihnen ein Abenteuer in Aussicht stellte, von dem sie bis dahin kaum zu träumen gewagt hätten.
    Die Atmosphäre kennzeichnet am ehesten ein Gespräch, das ich an dem Abend mit Daniel führte. Er war allein zu mir zum Haus gekommen, etwas zu trinken holen, und hielt inne, bevor er wieder an den Fluss hinunterging, von wo das Lachen von Christoph und Judith zu hören war, die bis zu den Knien im Wasser standen und sich gegenseitig anspritzten. Er schien die Szene zu genießen, wirkte aber gleichzeitig auch von ihr gequält, und obwohl ich sah, wie es in ihm arbeitete, überraschte er mich mit dem, was er sagte.
    »Ich schätze, ich sollte glücklich sein.«
    Genau in dem Augenblick rief Judith nach ihm. Sie war aus dem Wasser herausgekommen, stand fröstelnd da und zog die erste Silbe seines Namens hoch hinauf, blies sie mit Luft auf und ließ dann das Ende kraftlos in sich zusammenfallen. Gerade noch halb hinter der Schotterbank verschwunden, war sie jetzt in ganzer Länge zu sehen, und exakt darauf schien sie aus zu sein. Ich hatte den Eindruck, sie biete sich ihm regelrecht dar, ein Bein vor das andere gestellt, die Arme verschränkt und, was man aus der Ferne nur erahnen konnte, im Gesicht ein Ausdruck von Ungeduld, ein angedeuteter Schmollmund und die Himmelfahrtsnase ungnädig nach oben gerichtet. Sie rief noch einmal und noch einmal auf diese Weise, die bei allem spielerischen Unterton etwas Befehlendes hatte, und als ich mich an ihn wandte, entging mir nicht, dass er sich mehr und mehr versteifte und demonstrativ nicht von der Stelle rührte.
    »Was soll das heißen, du schätzt?«
    Ich versuchte, mich möglichst beiläufig zu geben.
    »Bist du es denn nicht?«
    Mir war davor schon eine Scheu und Zurückhaltung an ihm aufgefallen, die er im Umgang mit Judith längst abgelegt hatte, jetzt aber wieder regelrecht ausstellte.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Wenn es sich so anfühlt.«
    »Du musst es doch wissen.«
    »Wenn es sich so anfühlt«, sagte er. »Ich weiß genau, was über solche Situationen in den Büchern steht, und ich weiß auch, was daran faul ist.«
    »Vergiss doch die Bücher.«
    »Das sagst ausgerechnet du.«
    »Ich muss es wissen«, sagte ich. »Lesen kannst du später.«
    Dabei sah ich ihn aus den Augenwinkeln an.
    »Lesen kannst du, wenn du tot bist.«
    Er warf mir einen kurzen, jedoch eindeutig abfälligen Blick zu und schaute dann wieder hinunter zum Fluss, wo Judith noch ein letztes Mal auffordernd die Arme hob und sie gleich resigniert wieder herunterklappte. Dann drehte sie sich um und bewegte sich Schritt für Schritt auf das Wasser zu, und ich sah, dass er sie nicht aus den Augen ließ. Vom anderen Ufer war ein Zug zu hören, und noch in derselben Sekunde wusste ich, dass sich für ihn die Situation in die Länge ziehen und dass es in seiner Erinnerung das immer gleiche Bild sein würde, wie sie abgewandt dastand, untermalt durch das rhythmische Schwellengeräusch von den Schienen. Denn unentwegt auf ihren Rücken starrend, konnte er nicht anders als warten, während sich Waggon um Waggon vorbeischob und mehrere Minuten lang rundum alles stillzustehen schien.
    »In den Büchern wäre das einer der Augenblicke, nach denen ich mich später am meisten zurücksehnen würde«, sagte er dann. »Erinnerst du dich an den Schriftsteller in Schnee auf dem Kilimandscharo ?«
    »Ja«, sagte ich. »Eine gebrochene Figur.«
    »Eher wohl traurig«, sagte er. »Du erinnerst dich an ihn?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich erinnere mich.«
    »Du erinnerst dich, dass er im Sterben liegt und nachdenkt, was alles er noch gern geschrieben hätte und nicht mehr schreiben kann?«
    »Ja«, sagte ich wieder. »Die immer gleichen Themen.«
    »So fühlt es sich an.«
    Ich hätte das als jugendlichen Weltschmerz abtun können, aber was er sagte, ließ mich an Robert denken. Er war ganz versessen gewesen auf diese literarische Sehnsucht und dieses literarische Glück. Sich in einer Situation vorzustellen, wie man sich später daran erinnern würde, nur um dann zu erkennen, dass man das, woran man sich erinnerte, nicht mehr haben konnte, war eine doppelte Auslöschung. Man schob den Augenblick in die Zukunft, um von dort aus alles in der Vergangenheit zu haben, in der es dann verloren war, und was einem blieb, ging auf in der bleiernen Schwebe der Melancholie. Ich hatte mir das bis dahin nie richtig klargemacht und schon gar nicht mit Robert darüber gesprochen, als er noch am Leben war, doch die

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