Eine andere Art von Ewigkeit: Lilith-Saga: 2 (German Edition)
wäre.
In seinem mehr als fünfhundertjährigen Leben hatte er sich vielen Veränderungen stellen müssen. Ordnung war das Zauberwort, das ihm stets geholfen hatte, sich anzupassen. Ordnung bedeutete Sicherheit. Für andere mochte es lediglich eine Marotte sein, aber ihn erfüllte es mit unbeschreiblicher Genugtuung, seitdem er jeden einzelnen Raum in Elisabeths Gebäudekomplex sowohl von außen als auch von innen mit einem Schild versehen hatte, welches darüber Auskunft gab, wofür das jeweilige Zimmer diente.
Cunningham kam zu dem Schluss, die Beschriftung ändern zu lassen. Sein Blick kehrte zu Elisabeth zurück.
„Viktor hat Kontakt aufgenommen“, sagte er. Er zögerte fortzufahren, weil er nicht gleich die richtigen Worte fand.
„Und?“
„Alles lief wie am Schnürchen. Er wollte sie verschleppen, um sie zurückzulassen. Vorher wollte er sich ein wenig mit ihr beschäftigen. Aber - … sie war stärker als er vermutet hatte. Sie hat sich losgerissen und ist ihm entkommen.“
Elisabeths Gesicht blieb unbeweglich, ihre gesenkten Lider zuckten nicht einmal für eine Mikrosekunde. Stattdessen verfolgte sie gelassen den Fortschritt ihrer Maniküre. Ihre rechte Hand war fast fertig, es fehlte nur der Lack. Die Asiatin wandte sich gerade ihrer Linken zu.
Cunningham kratzte sich verstohlen am Kinn. Er vermied es, Blickkontakt mit Elisabeth aufzunehmen, als er sagte: „Ihre Kraft wächst.“
„Nein!“, brauste sie mit einer Heftigkeit auf, die ihn zusammenzucken ließ. „Lilith wird mich nicht noch einmal daran hindern, meine Familie durch die Barriere zu schleusen.“ - Elisabeth brach ab.
Dann fuhr sie fort. „Schick Viktor erneut hin. Er soll es ein zweites Mal probieren und sich mehr anstrengen.“
Auf Cunninghams Oberlippe bildeten sich kleine Schweißperlen. Er nahm sich ein Kleenex vom Behandlungstisch und tupfte sich über den Mund.
Die junge Kosmetikerin feilte die künstlichen Nägel zurecht. Das sandige Geräusch, das dabei entstand, kratzte an Cunninghams Nerven.
„Viktor weigert sich. Er ist es gewohnt, dass sich seine Opfer fügen. Er kann mit Widerstand nicht umgehen.“
„Du hast ihn nicht ausreichend motiviert.“
In Cunninghams rechter Gesichtshälfte zuckte ein Nerv, über den sein Willen keine Gewalt hatte.
Der Geruch von Lösungsmitteln erfüllte die Luft. Die Kosmetikerin trug den Lack auf. Ein Tropfen der Farbe fiel auf die blütenweise Damastdecke herab, auf der Elisabeths Hände lagen. Der Tropfen war blutrot.
„Ich habe getan, was ich konnte. Viktor hat sich nicht umstimmen lassen.“
Diesmal bewegte Elisabeth ihren Kopf, und warf Cunningham einen kurzen Blick aus ihren Augenwinkeln zu, der seine inneren Alarmglocken schrillen ließ.
„Hast du noch etwas von dem Destillat?“, fragte sie schließlich.
„Ich habe ihm die Hälfte der Ampulle als Anzahlung gegeben. Die andere Hälfte hätte er bekommen, wenn er erfolgreich gewesen wäre.“
Die Kosmetikerin setzte sich eine Juwelierlupe auf, um den Verschluss des Gelenkrings, den Elisabeth am linken kleinen Finger trug, mit Hilfe eines filigranen Uhrmacherwerkzeugs aufzuschrauben.
Cunningham stierte wie gebannt auf das silberne, reich verzierte Schmuckstück. Auch Elisabeth widmete ihre Aufmerksamkeit jetzt der jungen Frau.
„Gib ihm die zweite Hälfte der Ampulle, dafür soll er mir sein Erlebnis mit Lilith schicken. Und versprich ihm zwei weitere Ampullen, wenn er es heute Nacht noch einmal probiert.“
„Zwei volle Ampullen?“ Cunningham traute seinen Ohren nicht.
Elisabeth blieb stumm.
Die Kosmetikerin hatte den Verschluss des Fingerrings geöffnet und nahm ihn vorsichtig ab. Unter der Prothese kam ein Stück blanker Knochen zum Vorschein – gerade groß genug, um daran das silberne Kunstwerk zu befestigen.
Lilith hatte Elisabeth den Finger zerfetzt. Auf ihrer Flucht aus der Forschungsanlage der Studentenverbindung hatte sie auf den Raben geschossen und getroffen.
Cunningham wusste, dass Samael Lilith diese Verstümmelung niemals verzeihen würde.
9
Asmodeo parkte den Van in einer kleinen Seitenstraße unter großen, knorrigen Eichen, die so aussahen, als würden sie dem Seewind schon seit Jahrzehnten starrsinnig trotzen. Ich stieg aus, öffnete die Heckklappe und hob den Rollstuhl auf den Gehweg. Dort faltete ich ihn auseinander, um ihn neben die Seitentür zu schieben. Dann ging ich ein paar Schritte weg und kehrte dem Wagen den Rücken zu. Dabei gab ich vor, mich um Mozart kümmern zu
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