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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Don Juan?«
    »Die Welt ist so-und-so, nur weil wir uns sagen, daß sie so-und-so ist. Wenn wir aufhören, uns zu sagen, daß die Welt so-und-so ist, dann wird die Welt aufhören sound-so zu sein. Im Augenblick, glaube ich, bist du nicht auf einen so plötzlichen Schlag vorbereitet, darum mußt du anfangen, die Welt langsam aufzulösen.«
»Ich verstehe dich wirklich nicht.«
    »Dein Problem ist, daß du die Welt mit dem verwechselst, was die Leute tun. Auch damit stehst du nicht allein da. Jeder von uns tut das. Die Dinge, die die Leute normalerweise tun, sind Schilde gegen die uns umgebenden Kräfte. Was wir als Menschen tun, gibt uns Bequemlichkeit und Macht, so daß wir uns sicher fühlen. Was die Leute tun, ist mit Recht sehr wichtig, aber nur als ein Schild. Wir lernen nie, daß die Dinge, die wir tun, nur Schilde sind, und wir lassen sie über unser Leben herrschen und über uns herfallen. Tatsächlich könnte ich sagen, daß das, was die Leute tun, für die Menschheit größer und wichtiger ist als die Welt selbst.«
»Was nennst du die Welt?«
    »Die Welt ist alles, was du hier siehst«, sagte er und stampfte auf den Boden. »Leben, Tod, Menschen, die Verbündeten und alles andere um uns her. Die Welt ist unbegreiflich. Wir werden sie nie verstehen; wir werden nie ihre Geheimnisse entschlüsseln. Wir müssen sie nehmen als das was sie ist, als reines Wunder! Aber ein durchschnittlicher Mensch tut das nicht. Für ihn ist die Welt nie ein Wunder, und wenn er alt ist, dann ist er überzeugt, daß es für ihn nichts mehr gibt, wofür er leben kann. Ein alter Mann hat die Welt nicht ausgeschöpft. Er hat nur ausgeschöpft, was die Leute tun. Aber in seiner törichten Verblendung glaubt er, die Welt habe keine Wunder mehr für ihn. Welch erbärmlichen Preis zahlen wir für unsere Schilde! Ein Krieger ist sich dieser Verblendung bewußt und lernt, die Dinge richtig zu sehen. Die Dinge, die Menschen tun, können niemals wichtiger sein als die Welt. Darum ist für den Krieger die Welt ein unendliches Wunder und das, was die Leute tun, eine endlose Torheit.«

15.
    Ich begann mich darin zu üben, auf die »Geräusche der Welt« zu lauschen, ich tat es zwei Monate, wie Don Juan mir aufgetragen hatte. Anfangs war es eine Qual, zu horchen statt zu schauen, aber noch qualvoller war es, nicht mit mir selbst zu sprechen. Gegen Ende der zwei Monate war ich fähig, meinen inneren Dialog für kurze Zeitspannen auszuschalten und konnte auch auf Geräusche achten. Am 10. November 1969 traf ich morgens um neun Uhr bei Don Juan ein. »Wir sollten uns sofort auf die Reise machen«, sagte er gleich bei meiner Ankunft. Ich ruhte mich eine Stunde aus, und dann fuhren wir in Richtung der flachen Berge im Osten. Wir ließen das Auto in der Obhut eines seiner Freunde, der in dieser Gegend wohnte, und wanderten ins Gebirge. Don Juan hatte ein paar Kekse und süße Semmeln für mich in einen Rucksack getan. Wir hatten genügend Proviant für ein oder zwei Tage. Ich fragte Don Juan, ob wir nicht mehr brauchten. Er schüttelte verneinend den Kopf.
    Wir gingen den ganzen Vormittag. Es war ein recht heißer Tag. Ich hatte eine Feldflasche mit Wasser bei mir, von dem ich das meiste selbst trank. Don Juan trank nur zweimal. Als das Wasser zu Ende war, versicherte er mir, daß man gut aus den Bächen trinken könne, an denen wir auf unserem Weg vorbeikamen. Er lachte über meinen Widerwillen. Nach kurzer Zeit war mein Durst stärker als meine
    Befürchtungen. Am frühen Nachmittag hielten wir am Fuß einiger saftig-grüner Hügel. Hinter den Hügeln, gegen Osten, hob sich die Silhouette der hohen Berge gegen den bewölkten Himmel ab.
    »Du kannst über alles, was du siehst, nachdenken oder schreiben, nur nicht darüber, wo wir sind«, sagte er. Wir rasteten einige Zeit, und dann zog er ein Bündel unter seinem Hemd hervor. Er öffnete es und zeigte mir seine Pfeife. Er füllte sie mit der Rauchmixtur, riß ein Streichholz an und zündete einen kleinen trockenen Zweig an, steckte den brennenden Zweig in den Pfeifenkopf und befahl mir, zu rauchen. Ohne ein Stück Holzkohle im Pfeifenkopf war es schwer, die Pfeife anzurauchen. Wir müßten immer wieder Zweige anzünden, bis die Mixtur Feuer fing. Nachdem ich zu Ende geraucht hatte, sagte er, daß wir hier seien, damit ich herausfinden konnte, welches Wild ich jagen sollte. Drei- oder viermal wiederholte er bedächtig, daß es das wichtigste bei meinem Unternehmen sei, gewisse Löcher zu finden. Er

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