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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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betonte das Wort >Löcher< und sagte, daß ein Zauberer in ihnen Botschaften und Anweisungen aller Art finden könne.
    Ich wollte fragen, was das für Löcher seien; Don Juan schien meine Frage erraten zu haben und sagte, daß es unmöglich sei, sie zu beschreiben, und daß sie zum Bereich des Sehens gehörten. Er wiederholte mehrmals, daß ich meine ganze Aufmerksamkeit darauf konzentrieren sollte, auf Geräusche zu lauschen, und alles tun sollte, um die Löcher zwischen den Geräuschen zu finden. Er sagte, er würde viermal seinen Geisterfänger spielen. Ich sollte diese unheimlichen Rufe als Führer zu dem Verbündeten, der mich willkommen geheißen hatte, benutzen. Dieser Verbündete würde mir dann die Botschaft geben, die ich suchte. Don Juan sagte mir, ich solle sehr wachsam sein, da er keine Ahnung habe, wie der Verbündete mir erscheinen würde.
    Ich horchte aufmerksam. Ich saß mit dem Rücken zur Felswand des Hügels. Eine schwache Taubheit befiel meinen Körper. Don Juan warnte mich davor, meine Augen zu schließen. Ich begann zu horchen und konnte das Zwitschern der Vögel, das Rascheln des Windes in den Blättern, das Summen der Insekten unterscheiden. Als ich meine volle Aufmerksamkeit auf diese Geräusche richtete, konnte ich tatsächlich vier verschiedene Formen des Vogelgezwitschers unterscheiden. Ich konnte erkennen, ob der Wind langsam oder schnell wehte. Auch konnte ich das unterschiedliche Rascheln dreier verschiedener Blattarten auseinanderhalten. Das Summen der Insekten war verwirrend. Es war so vielfältig, daß ich die verschiedenen  Formen nicht zählen oder richtig unterscheiden konnte.
    Wie nie zuvor in meinem Leben tauchte ich in eine fremde Geräuschwelt ein. Ich begann nach rechts umzufallen. Don Juan machte eine Bewegung, um mich aufzufangen, aber ich kam ihm zuvor. Ich streckte mich und saß wieder aufrecht. Don Juan drehte meinen Körper, bis er mich gegen eine Spalte in der Felswand gelehnt hatte. Er wischte die kleinen Steinchen unter meinen Beinen fort und lehnte meinen Hinterkopf gegen den Felsen.
    Er befahl mir gebieterisch, auf die Berge im Südosten zu schauen. Ich richtete meinen Blick in die Ferne, aber er verbesserte mich und sagte, ich solle nicht die Hügel und ihre Vegetation anstarren, sondern einfach schauen oder den Blick irgendwie darüber hinweggleiten lassen. Er wiederholte immer wieder, ich solle meine ganze Aufmerksamkeit auf das Horchen konzentrieren. Wieder traten die Geräusche in den Vordergrund. Es war weniger, daß ich sie unbedingt hören wollte, sie zwangen mich eher, mich auf sie zu konzentrieren. Der Wind raschelte in den Blättern. Der Wind strich hoch über den Bäumen hinweg und fiel dann in das Tal, in dem wir waren. In seinem Fall berührte er zunächst die Blätter der hohen Bäume. Sie machten ein eigenartiges Geräusch, das mir wie ein kräftiges, üppiges Schnarren vorkam. Dann traf der Wind auf die Büsche, und ihre Blätter klangen wie ein Durcheinander kleiner Dinge; es war beinah ein melodischer Klang, sehr eindringlich und sehr fordernd; es schien alles andere zu übertönen. Ich empfand es unangenehm. Ich wurde verlegen, weil mir plötzlich der Gedanke kam, ich selbst sei so wie dieses Rascheln der Büsche - nörgelnd und fordernd. Das Geräusch war mir so ähnlich, daß ich es haßte. Dann hörte ich den Wind über den Boden streichen. Es war kein raschelndes Geräusch, eher ein Piepsen oder ein leises Summen. Während ich auf die Geräusch lauschte, die der Wind machte, erkannte ich, daß sie alle drei gleichzeitig erklangen. Ich war erstaunt, wie ich sie voneinander unterscheiden konnte, und dann wurde mir wieder das Zwitschern der Vögel und das Summen der Insekten bewußt. Einmal waren nur die Geräusche des Windes da, und im nächsten Moment tauchte plötzlich ein gigantischer Schwall anderer Geräusche in meinem Wahrnehmungsbereich auf. Logischerweise müßten all die vorhandenen Geräusche ständig ausgesendet werden, auch während der Zeit, in der ich nur den Wind hörte. Ich konnte all das unterschiedliche Vogelgezwitscher und das Summen der vielen Insekten nicht zählen, aber ich war überzeugt, daß ich jedes einzelne Geräusch so hörte, wie es hervorgebracht wurde. Zusammen bildeten sie eine sehr ungewöhnliche Anordnung. Ich finde kein anderes Wort dafür als »Anordnung«. Es war eine Anordnung von Geräuschen, die ein Muster ergab. Das heißt, jedes Geräusch trat in einer bestimmten Reihenfolge auf.
    Dann hörte ich

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