Eine angesehene Familie
weggelaufen?« fragte er scheinbar teilnahmslos.
»Das hat er nicht gesagt. Es hat ihn tödlich getroffen. Ich habe es gehört.«
»Mitleid?«
»Ja.«
Er zog sie ganz an sich und bedeckte ihren Leib mit Küssen. »Du verschwendest zuviel Gefühl. Unnütze Gefühle«, sagte er in einer Pause. »Ich betrachte es als gerechte Strafe dafür, daß er in mein Leben mit dir eingebrochen ist!«
»Er konnte es nicht allein! Dazu gehörten zwei.«
»Das stimmt!« Petrescu warf sie auf den Rücken und schob sich über sie. »Aber ich habe dich zurückerobert. Ich bin der Sieger! Du gehörst mir! Ich leiste mir den Luxus, dich fünf Minuten im Mitleid schwimmen zu lassen … Dann hole ich dich in meine Welt.«
Sie warf den Kopf zurück, stieß einen spitzen Schrei aus und biß ihm in die Schulter, als er sie in seine Welt holte …
Mit Bibi war an diesen Tagen nicht zu reden.
Jussuf hatte sie verhauen, weil ihm jemand erzählt hatte, daß sie mit einem Kerl, der einen dicken Wagen fuhr, im Hotel gewesen war. Bei dieser Auseinandersetzung bekam Bibi einen großen blauen Fleck an der rechten Halsbeuge. Jussuf war schlimmer dran. Ihm hatte Bibi, als er begann, sie zu würgen, in den Unterleib getreten. Seitdem lag Jussuf mit grünem Gesicht auf seiner Couch, kühlte mit Alkoholumschlägen sein Liebstes und drohte mit einer fürchterlichen Bestrafung, falls Bibis Tritt seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigt haben sollte. Zwar beruhigte ihn ein herbeigerufener Arzt nach gründlicher Untersuchung, aber die Schmerzen waren so groß, daß Jussuf mit den Zähnen knirschte.
»Geld habe ich nicht!« sagte Bibi, als sie Monika traf. »Wieso kommst du schon jetzt?«
»Ich bin weg von zu Hause.« Sie standen am Seitenausgang des Hauptbahnhofs wie zwei Mädchen, die noch Zeit bis zur Abfahrt ihres Zuges haben. »Für immer.«
»Du bist bekloppt!« Bibi starrte Monika entgeistert an und tippte an die Stirn. »Wo willste denn hin?«
»Wenn es geht, zu dir.«
»Ich penne in einem Keller. Oder bei Jussuf. Oder bei Karlemann, das ist ein abgebrochener Theologe. Ein irrer Typ! Wenn der auf Trip ist, singt er Kirchenlieder und nennt mich beim Bumsen Maria Magdalena! Da kannste doch nicht immer mit! Du willst doch nur zugucken!«
»Ich brauche in drei Stunden einen Druck, Bibi.«
»Dazu reicht mein Geld nicht. Erst muß ich Jussuf wieder friedlich machen.«
»Du könntest nachher einmal –«
»Hotel?«
»Dachte ich!«
»Sag mal – bist du mein Zuhälter? Ich soll mich hinlegen, damit du dir einen Druck machen kannst?! Verdien es dir gefälligst selber! Oder trägst du deins nur als unantastbares Schaustück herum? Stell dich auf meinen Platz, in einer Stunde haste vier Halbe zusammen. Mit deiner Figur, mit deinem Aussehen … Moni, da kannste doch einen richtigen Laden aufmachen!« Bibi kicherte blöd, wurde dann aber sehr ernst. »Du bist also weg?«
»Ja. Ich halte es zu Hause nicht mehr aus. Ich bin voll bei euch …«
»Moni, du weißt, was das heißt!«
»Ja.«
»Du bist nur noch ein Scheißhaufen!«
»Ich kann's nicht mehr ändern, Bibi. – Leih mir fünfzig Mark!«
»Es ist nichts da.« Bibi hob beide Arme. »Kannst mich abtasten!«
»Ich glaub' es dir auch so.« Monika gab Bibi die Hand. »Wo bist du heute Abend?«
»Bei Jussuf. Wo sonst? Vielleicht wird es besser, wenn ich ihn kühle. Wenn du willst, kannst du kommen.«
Monika überquerte den Bahnhofsvorplatz und bummelte die Kaiserstraße hinunter. Vor der Glasfront des Schauspielhauses blieb sie stehen, betrachtete die Szenenfotos und wollte weitergehen, als ihr eine Stimme direkt in den Nacken dröhnte.
»Ja, sowas? Ist das nicht das schöne Töchterlein von Eduard dem Großen?«
Monika fuhr herum. Hinter ihr stand ein mittelgroßer, dicker Mann mit einem grinsenden rötlichen Gesicht und schütteren Haaren. Er trug einen Lodenmantel, darunter offenbar einen grünen Jägeranzug und derbe Stiefel. Aus seinen Kleidern strömte ein Geruch nach Erde und feuchtem Holz.
»Sie erinnern sich nicht, meine Schöne? Hubert Bollwitz aus Braunlage im Harz. Bollwitz wie Witzbold, haha!«
Monika erinnerte sich. Hubert Bollwitz, Fabrikant. Lebte seit zehn Jahren bei Frankfurt, hatte große Wälder gepachtet und lud zweimal im Jahr zur Jagd ein. Barrenberg hatte ihm eine zusätzliche Fabrikhalle und danach eine Villa in Gravenbruch gebaut. Monika erinnerte sich noch genau an die Worte ihres Vaters: »Da habe ich als Kunden ein wahres Arschloch an Land gezogen! Der
Weitere Kostenlose Bücher