Eine Art von Zorn
ein unangenehmes Gefühl im Magen und begann mich zu fragen, ob meine Vorsichtsmaßnahmen auch ausreichend gewesen waren. Da war zum Beispiel diese verdammte Rückfahrkarte nach Cannes in meiner Tasche. Angenommen, er warf einen kurzen Blick darauf. Angenommen, er fragte mich nach der Telefonnummer meiner Wohnung in Lyon. Was tat ich dann? Ihm irgendeine alte Nummer geben und das beste hoffen oder mich einfach umdrehen und davonlaufen? Ich fühlte mich der Aufgabe nicht gewachsen. Meine Knie wurden weich, und ich wollte eben den verhängnisvollen Fehler machen, einen Gepäckträger aufzufordern, meine Taschen zum Zug zu bringen, anstatt sie selbst zu tragen, als er mich sah.
Er kam sofort zu mir herüber. »Ach, ich fürchtete, Sie könnten den Zug verpassen«, sagte er fröhlich. »Er muß jeden Moment ankommen.«
»Ich weiß.«
»Ich wollte Ihnen noch etwas sagen, aber in Ihrem Hotel teilte man mir mit, daß Sie schon weg seien.«
Kontrolle über Kontrolle.
»Ich habe zu Abend gegessen. Bei den Preisen im Zug …«
»Ja, natürlich. Es handelt sich nur darum: Die Telefonistin des Hotels, eine sehr charmante Frau, hat mir versprochen, daß sie auch eine längere Nachricht für mich Wort für Wort notieren wird, Sie müssen nur langsam diktieren. Dies für den Fall, daß ich nicht im Hotel sein sollte, wenn Sie morgen von Marseille anrufen.«
Zähne glänzten im Bahnhofslicht.
»Ja, natürlich.« Mein Magen begann sich wieder zu beruhigen. Wenn er sich keine bessere Entschuldigung für seine Anwesenheit auf dem Bahnhof ausdenken konnte, hatte ich ihn überschätzt.
»Amüsieren Sie sich«, sagte er. Der Zug lief ein.
»Das versuche ich immer.«
»Es ist schön, jung zu sein. Wir sprechen uns morgen wieder.«
»Auf Wiedersehen morgen abend.« Ich eilte den Bahnsteig entlang und tat, als suchte ich die Wagen mit der Tafel ›Nur bis nach Marseille‹.
Er wartete nicht, bis der Zug abfuhr, wenigstens nicht auf dem Bahnsteig; aber ich mußte annehmen, daß er draußen wartete, und führte deshalb meinen ursprünglichen Plan aus. Als der Zug in Cannes hielt, stieg ich aus und nahm den nächsten Zug zurück nach Nizza.
Das Hotel, das ich vorübergehend bewohnen mußte, lag nahe beim Hafen und schien sich um Durchreisende zu bemühen, die die Postdampfer von Korsika benutzten. Der concierge war ein Pedant mit dünnen Lippen und mißtrauischen Augen. Er ließ sich meinen Ausweis zeigen, und ich mußte daher den Meldezettel mit meinem richtigen Namen unterzeichnen. Ich tat es ungern, aber ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich jetzt plötzlich weggegangen wäre, so hätte er wahrscheinlich die Polizei von dem Vorfall unterrichtet.
Es war jetzt 22.30 Uhr – 16.30 Uhr in New York. Sy und Bob Parsons hatten bis zum Redaktionsschluß noch sechseinhalb Stunden Zeit. Ich fragte mich, was sie jetzt wohl taten. Einer, vermutlich Bob Parsons, würde immer noch nach mir oder nach irgendwelchen Spuren suchen, dabei unterstützt vom freien Mitarbeiter aus Marseille. Sy würde mit der Pariser Redaktion in telefonischer Verbindung bleiben. Ich hätte gar zu gern gewußt, ob er New York bereits über meinen Treuebruch informiert hatte oder ob er einstweilen nur berichtet hatte, daß ich nicht zu erreichen sei, in der Hoffnung, daß ich doch noch andern Sinnes würde. Ich nahm an, daß er ihnen die Wahrheit gesagt hatte. Schließlich hatte Mr. Cust mir diesen Auftrag erteilt, nicht Sy. Wenn man einen psychopathischen Dilettanten, so würde er ihnen sagen, mit einer Aufgabe betraue, die einen gerissenen Profi verlange, so mußte man auf einige Überraschungen gefaßt sein. Ihm konnten sie die Schuld nicht in die Schuhe schieben. Zudem hatten sie ja den Großteil der Story, auf jeden Fall den Teil, auf den es ankam. Und sie hatten das Tonband, das bewies, daß die Story echt war. Es mochte ein bißchen unangenehm sein, wenn ich bis zum Zeitpunkt, an dem sie die Bombe platzen ließen, nicht zum Vorschein gekommen war, aber sie würden mit dieser Situation fertig werden, vorausgesetzt, daß sie überhaupt entstand. Sie waren ihrer Konkurrenz um einiges voraus, und je mehr Aufsehen die Sache erregte, um so besser. Aber nicht für mich.
Es gibt Fälle, wo der Herausgeber einer Tageszeitung oder eines Magazins sich aus Gründen des Presseprivilegs weigern kann, seine Informationsquelle zu nennen; aber dieser gehörte nicht dazu. Hier würde World Reporter erpicht sein darauf, mit anderen Nachrichtenmedien und den Behörden
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