Eine begehrenswerte Lady
haben eine unangemessen hohe Meinung von sich selbst – mir ist vollkommen gleich, ob Sie verärgert sind oder nicht. Und wenn Sie es wagen, mich noch einmal anzufassen, wird mein Onkel das erfahren – gleich nachdem ich Ihnen eine Ohrfeige für Ihre Unverschämtheit gegeben habe.« Sie reckte das Kinn. »Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, ich muss weiter.«
Das höhnische Grinsen war wie weggewischt, als er sie wieder am Arm packte und sie zu sich zog. Sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, knurrte er praktisch:
»Ich an Ihrer Stelle würde die Nase nicht so hoch tragen, meine Kleine. Ich weiß Sachen über Sie, von denen Sie sicher nicht wollen, dass sie allgemein bekannt werden – zum Beispiel, was Sie anhatten« – ein hässliches Lächeln spielte um seinen Mund – »oder besser, was Sie nicht anhatten, als Winthrop in Ihr Schlafzimmer kam, damals in der Nacht im Jagdhaus meines Vaters.«
Gillian erstarrte. Sie schaute ihm erschrocken in die Augen, und was sie dort sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie schluckte schwer und versuchte es einfach zu übergehen.
»Ich fürchte, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Dann werde ich es Ihnen sagen«, erwiderte er, erregt von der rasch wieder unterdrückten Angst, die er in ihrem Blick gesehen hatte. »Ich weiß von der Abmachung zwischen Ihrem verstorbenen Ehemann und Winthrop.«
Sie war derart erschüttert, dass sie einen Moment an nichts anderes denken konnte als daran, dass noch jemand außer ihr von Charles’ beschämender Übereinkunft mit Lord Winthrop wusste. Zu entdecken, dass Canfield darüber informiert war, was in dem Schlafzimmer zwischen ihr und Winthrop vorgefallen war, wühlte sie zutiefst auf. Und außerdem musste sie sich jetzt fragen, ob sie je in der Lage sein würde, die Ereignisse jener Nacht hinter sich zu lassen. Wie viele andere, überlegte sie, während ihr fast übel wurde, wussten noch von Charles’ Verkommenheit und ihrer Schande? Wie viele andere hielten sie für eine Schlampe, eine Frau, die sich bereitwillig von einem Mann zum nächsten weiterreichen ließ wie ein Beutestück, und außerdem für eine Mörderin?
Sie hatte immer gehofft, dass eines Tages Charles’ Mörder entlarvt werden würde, sodass ihr Ruf wiederhergestellt wäre. Wenigstens würde ich dann nicht mehr als Gattenmörderin gelten, dachte sie wie betäubt. Ihre Anwesenheit bei einer von Welbournes Zusammenkünften in jener Nacht würde sich nie hinreichend erklären lassen, aber sie hatte sich mit der Überzeugung getröstet, dass das »Geschäft«, das Charles mit Winthrop gemacht hatte, niemals ans Tageslicht kommen würde. Canfield hatte diese Überzeugung eben zerstört. Und wie viele Gentlemen, fragte sie sich und ihr wurde ganz elend, wussten darüber Bescheid?
»Jetzt sind Sie nicht mehr so stolz, was?«, erkundigte sich Canfield hämisch.
Nicht willens, ihn wissen zu lassen, wie sehr sie am Boden zerstört war, erwiderte Gillian seinen Blick offen.
»Nun ja, ich glaube doch«, sagte sie. »Ich habe nichts getan, dessen ich mich schämen müsste. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen?«
Seine Lippen wurden schmal.
»Seien Sie nicht närrisch.« Er beugte sich noch weiter vor. »Niemand muss davon erfahren … wenn Sie mir gefällig sind.«
Sie wich zurück, als sei plötzlich vor ihr ein Dämon aufgetaucht. Mit einem verächtlichen Blick erklärte sie:
»Sie sind Gast im Hause meines Onkels. Ich werde Ihnen gegenüber höflich sein – vorausgesetzt, Sie geben mir keinen Anlass, es nicht zu sein.«
Er schüttelte sie leicht.
»Verstehen Sie nicht: Ich weiß es.«
Sie sagte sich, sie dürfe sich keine Schwäche anmerken lassen, dürfe ihn nicht die Oberhand gewinnen lassen, und antwortete mit ruhiger Stimme, auf die auch Sophia stolz gewesen wäre:
»Ich weiß nicht, was Sie zu wissen meinen, aber es geht mich nichts an.«
»Ach, denken Sie? Ich habe die Schuldscheine Ihres Gatten.« Als er das wachsende Entsetzen auf ihrem Gesicht sah, fuhr er aalglatt fort: »Ich habe sie von Winthrop vor ein paar Wochen in London gewonnen, bevor er sich für den Winter auf seinen Landsitz zurückgezogen hat.«
»Sie lügen!«, gelang es Gillian trotz ihres plötzlich trockenen Mundes zu sagen.
»Oh nein, es stimmt«, erwiderte Canfield selbstzufrieden. »Er war vielleicht betrunken, aber er hat mir genüsslich die ganze Geschichte erzählt. Es war töricht von ihm, aber der alte Narr hat
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