Eine begehrenswerte Lady
verhalten in diesen letzten beiden Wochen. Wir haben jetzt hier viel Zeit gemeinsam verbracht – und das, ohne uns zu streiten. Ich kann nicht behaupten, dass wir einander nahestehen, aber wie Sophia habe ich seine Gesellschaft sehr gerne.« Sie lächelte, sodass ihre Grübchen erschienen. »Neulich hat er uns sogar ins Dorf begleitet, damit wir uns dort im Kurzwarenladen Spitze und Nähgarn kaufen können. Er hat sich nicht ein einziges Mal beschwert.«
»Wie ungewöhnlich!«
»Ja, das ist es«, erklärte Sophia. »Er scheint seine Rolle als Bruder und Cousin ernst zu nehmen.«
»Ich frage mich nur«, murmelte Silas vor sich hin, »ob die Unterhaltung, die wir am Ende der Saison in London hatten und in der ich ihm erzählt habe, wie ich an High Tower gekommen bin, etwas mit den Veränderungen, die uns an ihm auffallen, zu tun hat.«
Beide Frauen schauten ihn an.
»Was meinst du?«, fragte Gillian. »Wie sollte die Geschichte, wie du an High Tower gekommen bist, etwas bei ihm bewirken?«
Silas wirkte unangenehm berührt. Beide Frauen warteten auf seine Antwort, und nach ein paar Minuten seufzte er und sagte:
»Es ist eine traurige und unschöne Geschichte – nicht für die Ohren von Damen bestimmt, aber da ihr nun hier lebt, hört ihr sie besser von mir als von jemand anders.« Er verzog das Gesicht. »Nicht dass es noch viele gäbe, die sich an die Tragödie erinnern.«
»Was für eine Tragödie?«, wollte Gillian wissen.
Silas holte tief Luft und erzählte ihnen dann von der Familie Bramhall und Edward Bramhalls Selbstmord durch den Sturz von dem Turm, der dem Anwesen seinen Namen gab. Als er fertig war, herrschte mehrere Minuten lang Schweigen.
»Ich gebe mir die Schuld«, gestand Silas. »Ich war so glücklich, einen so schönen Besitz zu gewinnen, dass ich nie einen Gedanken an Bramhall verschwendet habe – oder das, was ihm das antun würde.«
»Aber es war nicht deine Schuld«, widersprach Gillian und dachte mit Bedauern an den armen jungen Mann. »Wie oft haben wir gehört, dass wertvollere Ländereien oder größere Vermögen am Kartentisch den Besitzer wechseln?« Sie schürzte die Lippen. »Ich mache dich nicht für seinen Tod verantwortlich, aber das ist genau der Grund, warum ich das Glücksspiel so hasse. Spieler denken nie an das Leid, das sie verursachen.« Ihr wurde klar, was sie da gesagt hatte, und sie schnappte nach Luft, schlug sich bestürzt eine Hand vor den Mund und lächelte Silas entschuldigend an. »Oh Onkel! Es tut mir so leid … und das nach allem, was du für mich getan hast. Ich wollte dich nicht kränken.«
Silas tätschelte ihr begütigend die Hand.
»Das hast du nicht getan, meine Liebe. Ich bin ganz deiner Meinung. Glücksspiel ist ein schlimmes Laster – aber vergiss bitte nicht, niemand zwingt einen Gentleman, sich an den Kartentisch zu setzen und ein Vermögen zu verspielen. Die ungeschminkte Wahrheit ist doch, dass jeder, der mehr aufs Spiel setzt, als er sich leisten kann zu verlieren, ein Dummkopf ist.«
»Onkel hat recht«, sagte Sophia in ihrer praktischen Art. »Der Selbstmord des jungen Bramhall war eine Tragödie, aber ich nehme an, es hätte ohnehin ein böses Ende mit ihm genommen.« Sie blickte Silas an. »Und das hast du Stanley erzählt?«
Silas nickte.
»Dann kann ich mir gut vorstellen, dass du recht hast«, fuhr Sophia fort. »Stanley ist nicht dumm. Es mag eine Weile gedauert haben, aber es sieht ganz so aus, als habe er sich deine Worte zu Herzen genommen.«
»Seit er hier ist, hat er mich nicht ein einziges Mal um Geld gebeten«, bemerkte Silas.
Gillian wirkte bestürzt.
»Oje, ich fühle mich schrecklich. Ich habe ihm genau das vorgeworfen, gleich am ersten Tag, als er hier angekommen ist. Alles deutet darauf hin, dass er sich ändern will – er hat sogar Sophia und mich ins Dorf begleitet.«
»Was ich mir nicht erklären kann«, sagte Silas, »ist seine Freundschaft mit einem so üblen Kumpan wie Canfield. Der mag zwar Welbournes Sohn sein, aber sein Ruf lässt seinen Vater wie einen Heiligen erscheinen. Und wir alle wissen ja, dass Welbourne nie ein Heiliger war, nicht einmal in seiner Jugend.«
»Ist euch eigentlich aufgefallen«, fragte Sophia, »dass es in letzter Zeit zwischen den beiden Spannungen gibt?«
Gillian beugte sich vor, um Sophia auf der anderen Seite neben Silas ansehen zu können, und rief:
»Das hast du auch bemerkt? Ich dachte schon, ich bilde mir das nur ein.«
»Ich habe es ebenfalls wahrgenommen«, räumte
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