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Eine betoerende Schoenheit

Eine betoerende Schoenheit

Titel: Eine betoerende Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Thomas
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cremefarben gewesen, nun war er blau, was zu ihrem Reisekleid passte.
    Eigentlich hätte eine Frau für die kurze Strecke vom Netherlands Hotel bis zur Anlegestelle der Rhodesia am Hudson River keine Reisekleidung anlegen müssen. Allerdings hatte er es schon vor Langem aufgegeben, Damenmode, diese Ausgeburt der Irrationalität und Unbeständigkeit, verstehen zu wollen.
    Wie sehr eine Frau sich für Mode interessierte, verhielt sich proportional zu ihrer Dummheit. Er hatte gelernt, Frauen, die ausgestopfte Aras in ihren Hüten trugen, keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken, und von einer Gastgeberin, die vor allem wegen ihrer Abendkleidersammlung bekannt war, nur schlechtes Essen zu erwarten.
    Die Baronin war ohne Zweifel hochmodisch gekleidet – und unruhig: Der ungewöhnliche Sonnenschirm in ihrer Hand, konzentrische blaue Achtecke auf weißem Grund, drehte sich die ganze Zeit. Sie wirkte allerdings nicht im Geringsten dümmlich.
    Sie blickte empor. Er konnte nicht sagen, ob sie ihn direkt ansah. Doch worauf ihr Blick auch fiel, sie blieb abrupt stehen. Ihr Sonnenschirm hörte auf, sich zu drehen. Die Quasten am Rand baumelten bei ihrem plötzlichen Halt vor und zurück.
    Jedoch nur für einen Augenblick. Sie ging weiter die Landungsbrücke herauf, und ihr Sonnenschirm verwandelte sich wieder in ein hypnotisierendes Windrad.
    Er sah ihr nach, bis sie im Eingang der ersten Klasse verschwand.
    War sie die Ablenkung, die er so bitter nötig hatte?
    In den letzten Augenblicken vor der Abfahrt wurde es stets ruhig. Es war so still, dass man die Kommandos auf der Brücke hören und ihren Weg über das Schiff verfolgen konnte. Der Hafen blieb langsam hinter ihnen. Auf dem Hauptdeck unter ihr winkten die Menschen ihren Lieben, die sie zurückließen. Der Menge auf dem Dock winkte ebenso ernst und kräftig zurück.
    Etwas schnürte Venetia die Kehle zu. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal derart unkontrollierbare und starke Gefühle erlebt hatte.
    Oder wann sie es das letzte Mal zugelassen hatte.
    „Guten Morgen, Baronin.“
    Sie zuckte zusammen. Lexington stützte sich ein paar Meter von ihr entfernt mit einer unbehandschuhten Hand auf die Reling, lässig mit einem grauen Straßenanzug und einen Filzhut bekleidet, der vermutlich schon bei seinen Expeditionen zum Einsatz gekommen war. Er betrachtete das vorbeiziehende Hafengebiet New Yorks, die Landungsstege, Kräne und Warenlager, und verriet absolut kein Interesse an ihr.
    Es war, als hätte ein Eisberg sie angesprochen.
    „Kenne ich Sie, mein Herr?“ Er hatte Deutsch geredet, also antwortete sie in derselben Sprache und war überrascht, dass sie dabei so ruhig und beinahe gelassen klang.
    Er wandte sich ihr zu. „Noch nicht. Aber ich würde gerne Ihre Bekanntschaft machen.“
    Sie hatten im Fahrstuhl dichter beieinander gestanden. Doch während seine Nähe sie am Tag zuvor lediglich verärgert hatte, fühlte sie sich nun, als balanciere sie auf einem Drahtseil über den Niagarafällen
    War sie bereit, das Spiel zu beginnen?
    „Warum möchten Sie mich kennenlernen, Euer Gnaden?“ Es war sinnlos, so zu tun, als ob sie seinen Titel nicht wüsste – das Hotelpersonal hatte ihn in ihrer Gegenwart offen benutzt.
    „Sie sind anders.“
    Anders als die gierige Hure, die Sie als Affront gegen Schicklichkeit und Anstand ins Feld geführt haben?
    Sie kämpfte ihren Ärger nieder. „Suchen Sie eine Geliebte?“
    Du musst die Regeln kennen, ehe du spielst, hatte Mr Easterbrook immer gesagt.
    „Würde das Ihre Zustimmung finden?“ Er klang vollkommen gleichmütig, als habe er sie lediglich zum Tanzen aufgefordert.
    Nach den Blumen hätte sie dies nicht überraschen sollen. Dennoch begann ihre Haut leicht zu prickeln. Gottseidank hatte sie ihren Schleier – sonst hätte sie ihren Abscheu nicht verbergen können. „Was, wenn ich nein sage?“
    „Dann werde ich mich Ihnen nicht aufdrängen.“
    Sie hatte ihr Leben lang mit Männern zu tun gehabt, die hinter ihr her gewesen waren. Sie konnte vorgetäuschte Nonchalance eine Meile weit riechen. Doch sein gleichmütiges Verhalten war nicht gespielt. Wenn sie ablehnte, würde er seine Aufmerksamkeit einfach einer anderen zuwenden und keinen Gedanken mehr an sie verschwenden.
    „Was, wenn ich mir nicht sicher bin?“
    „Dann würde ich Sie gerne überzeugen.“
    Trotz der kühlen Brise auf dem Fluss drohte sie der Schleier zu ersticken. Möglicherweise war es auch gar nicht der Schleier, sondern seine Worte.

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