Eine betoerende Schoenheit
willst?“
„Natürlich haben Sie …“ Sie hielt inne.
Als er gesagt hatte, dass er sie besser kennenlernen wollte, war sie es gewesen, die ihn gefragt hatte, ob er eine Geliebte suchte.
„Du hast einfach angenommen, dass ich mit dir schlafen möchte, und dann meine Frage beantwortet. Eine Frau mit einem sehr außergewöhnlichen Gesicht wäre vermutlich skeptisch ob meines Interesses an ihr gewesen, hätte mich höchstwahrscheinlich aber nicht bezichtigt, ihr ein sexuelles Angebot gemacht zu haben. Du hingegen hast es als selbstverständlich angesehen, dass ein Mann sich nur in dieser Hinsicht für dich interessieren kann. Nachdem du körperlich vollkommen gesund zu sein scheinst, würde ich lügen, wenn ich behauptete, dass ich dir gegenüber keine fleischlichen Gelüste empfände. Also habe ich mich dazu bekannt, aber das war nur einer der Gründe, die mich zu dir geführt haben. Wenn du mich aber gefragt hättest, hätte ich geantwortet, dass ich mich mehr für dein Geheimnis interessiere als für das Vergnügen, dich nackt in den Armen zu halten.“ Es fiel ihm leicht, mit dieser gesichtslosen Frau im Dunkeln zu reden, so als ob man mit dem Meer oder dem Himmel sprach. Er strich ihr das Haar von der Schulter. „Wobei ich dich, wenn ich gewusst hätte, welch gewaltiges Vergnügen mir dein nackter Körper bereiten würde, sicher mit mehr Nachdruck hätte überzeugen wollen.“
Er musste abgrundtief versagt haben, ihr seine Beweggründe zu erklären – oder sie ein weiteres Mal gekränkt haben. Sie zog sich nämlich mit einem Mal zurück und setzte sich auf.
„Ich sollte gehen.“
„Soll ich dir helfen, deine Kleider zu finden? Sie könnten recht weit verstreut liegen. Es tut mir leid, aber ich habe mir nicht allzu viel Mühe gegeben, sie auf einem ordentlichen Haufen zu stapeln.“
Er sprach ziemlich gut Deutsch, und in seiner Stimme lag ein Lächeln. Sie biss sich auf die Lippen. Warum hatte sie sich das nicht vorher überlegt? Wie sollte sie im Dunkeln ihre Kleidung finden – und sich dann auch noch halbwegs anständig anziehen?
Er stand im selben Augenblick auf wie sie. „Das gehört dir. Das ist meins. Was ist das? Ein Unterhemd?“
Sie stieß mit den Füßen gegen ihre Schuhe, die Strümpfe lagen daneben. Doch ehe sie beides aufheben konnte, stand er schon neben ihr und reichte ihr ein Bündel Kleidung. Als sie die Kleider entgegennahm, streifte sie mit der Hand seinen Arm.
„Brauchst du Hilfe beim Anziehen?“
„Nein, ich …“
„Wir tun einfach, als wären wir in einer Ausgrabungsstätte und gehen methodisch vor“, sagte er, während er ihr die Kleider wieder abnahm. „Ich lege ein Kleidungsstück nach dem anderen aufs Bett, dann wissen wir, was wir schon haben und welche Teile noch fehlen.“
Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr so anstandslos helfen würde. Ihre Kleidung fiel leise aufs Bett. Er ging zur anderen Seite des Bettes, wahrscheinlich, um mit der Klassifizierung besagter Kleidungsstücke zu beginnen.
Sie beugte sich vor und hob ihre Strümpfe auf. Als sie sich aufrichtete, traf ihr Rücken auf etwas, dass sich wie eine sehr weiche Decke anfühlte. „Zieh das an, sonst erkältest du dich“, sagte Lexington.
Es war ein Morgenmantel aus Merinowolle. Sie schnürte den Gürtel um ihre Taille. „Was ist mit Ihnen?“
„Ich habe meine Hose gefunden. Jetzt aber wieder zu deiner Kleidung. Dein Kleid“ – etwas raschelte, und seine Stimme erklang wieder von der anderen Seite des Bettes – „wird ganz unten im Haufen liegen, alles andere kommt in umgekehrter Reihenfolge oben drauf. Wie viele Unterröcke hattest du an?“
„Einen.“
„Nur einen?“
„Das Kleid hat einen geschlitzten Rock, daher hat es selbst schon einen bestickten Unterrock. Außerdem ist es eng geschnitten. Bei mehr als einem Unterrock würde es nicht mehr richtig sitzen.“
Warum hatte sie ihm das so ausführlich erklärt? Es schien beinahe, als befürchtete sie, dass er das Fehlen weiterer Unterröcke mit einem Mangel an Moral gleichsetzen würde, und das praktisch unmittelbar, nachdem sie mit einem Mann geschlafen hatte, dem sie nicht einmal ordentlich vorgestellt worden war.
„Gute Wahl“, murmelte er. Es lag wieder ein Lächeln in seiner Stimme. „Der Sitz hat jedenfalls nicht gelitten.“
Sie fühlte sich, als sei sie in den Kaninchenbau gefallen. Vielleicht war er auch eine seltsame Inkarnation von Dr. Jekyll und Mr Hyde – aber statt im Dunkel böse zu werden, wurde er viel
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