Eine Braut für alle
ihn vor Jahren gewarnt, das würde einmal seiner Schleimhaut teuflisch mitspielen, aber es war natürlich zwecklos.» Sir Lancelot ließ seine goldene Taschenuhr aufspringen. «Wie ich sehe, ist es sechs. Haben Sie Lust, mit mir ein Gläschen Sherry zu trinken?»
Er drückte auf eine Klingel neben dem Kamin.
Ich war direkt in seine Wohnung in der Harley Street gegangen, um ihm vom Fortschritt der Memoiren zu berichten, denen ich auf der gesamten Rückfahrt von Rio meine volle und nüchterne Aufmerksamkeit zugewandt hatte. Ich war ziemlich gut mit ihnen vorangekommen - die einzige Kompensation für eine Seereise, die meiner persönlichen Ansicht nach die größte maritime Katastrophe seit dem Untergang der Titanic darstellte.
«Ich bin sehr froh, daß Sie gerade in diesem Augenblick zurückgekehrt sind, Grimsdyke», fuhr Sir Lancelot fort. «Denn ich lege den größten Wert darauf, daß Sie ein unmittelbar bevorstehendes Ereignis meines Lebens, das sich sogar als eine Art Krönung und Abschluß meines Lebenswerks erweisen könnte, als Augenzeuge mitmachen - und selbstverständlich aufzeichnen.»
Ich richtete mich auf. «Großer Gott, Sir, Sie werden doch nicht in den Adelsstand erhoben?»
«Im Gegenteil, ich wurde verklagt.»
Ich war verblüfft. Mir waren seinerzeit eine Reihe peinlicher Zuschriften von seiten der Anwälte meiner Schneider und ähnlicher Leute zugekommen, die mir durchaus nicht bemerkenswert und wert der Aufzeichnung erschienen.
«Ein niederschmetterndes Zeichen unserer Zeit», fuhr Sir Lancelot kummervoll fort, «ist, daß die Patienten keine Dankbarkeit mehr kennen. In den alten Zeiten konnte man einen Menschen fast umbringen und bekam trotzdem zu Weihnachten eine Schachtel Zigarren. Jetzt jedoch bedienen sich die Leute, kaum daß sie die Gratisbetreuung im Spital hinter sich haben, der Gratisbeihilfe der Rechtspflege, um den Arzt zu verklagen. Aber nach den ungeheuerlichen Bemerkungen, die jetzt in den Gerichtshöfen fallen, kann man wohl nichts anderes erwarten. Sie haben doch die Morgenausgabe der Times gelesen?»
Ich nickte; ein Stapel Zeitungen war mit dem Themse-Lotsen eingelangt.
«Meinen Sie am Ende den Fall jenes unseligen Arztes, den man wegen Fahrlässigkeit angeschossen hat, Sir?»
«Jawohl.» Sir Lancelot straffte sein Sakko. «Daß ein Richter, der von der Medizin nicht mehr versteht, als er den Schlafmittel-Reklamen der Zeitungen entnimmt, die Frechheit haben kann, uns öffentlich zu instruieren, wie wir unsere Arbeit zu verrichten haben, ist meiner Meinung nach eine grobe Verletzung der Amtsgewalt.»
Er läutete abermals.
Ich versuchte mich angestrengt irgendeiner besonders gepfefferten Bemerkung von seiten der Obrigkeit zu erinnern, konnte mir aber nur einige Worte zurückrufen, des Sinnes etwa, daß Ärzte den Patienten niemals sagen, was ihnen fehlt - was übrigens durchaus wahr ist.
«Ich glaube, Sir, die gelehrten Herren Richter nehmen die Gewohnheit an, ihre Meinung besonders rücksichtslos zum Ausdruck zu bringen.»
«Richter Fishwick ist ebenso gelehrt wie mein linker Oberschenkel. Ich hab mit dem Kerl das Zimmer geteilt, als er sich auf die Prüfung vorbereitete, fortwährend kam er mich um Zigaretten und Löschpapier anschnorren. Ein kümmerliches Bürschchen mit schauerlichen Zähnen, und von allem, was er aß, bekam er einen recht unerquicklichen Hautausschlag. Da fällt mir übrigens ein, für die Schlußprüfung borgte er sich meine Füllfeder aus, und soweit ich mich erinnern kann, hat er sie mir nie zurückgegeben.»
Sir Lancelot drückte erneut auf die Klingel.
«Ich würde an die Times schreiben», fügte er hinzu, «wenn ich’s mir nicht zum Prinzip gemacht hätte, niemals offene Briefe an die Zeitungen zu richten, Zeugt von äußerster Geschmacklosigkeit, wildfremden Leuten beim Frühstück seine Meinung aufdrängen zu wollen. Außerdem kriegt man nie ein Honorar dafür.»
Sir Lancelot öffnete die Salontür und rief mehrmals mit lauter Stimme «Maria!»
«Was soll dieser Wirbel?» fragte seine Frau von draußen.
«Ich möchte bloß ein Glas Sherry für mich und meinen Gast haben, meine Liebe.» Er schrie noch ein paarmal nach Maria. «Wo zum Teufel steckt das Mädel?»
«Oh, guten Abend, Gaston.» Lady Spratt erschien im Zimmer. «Haben uns schon endlos lang nicht mehr gesehen. Waren Sie weg? Es hat nicht den geringsten Sinn, so zu brüllen, Lancelot. Maria ist gegangen.»
«Gegangen?» Sir Lancelot sah aus, als wäre er beleidigt worden.
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