Eine Braut muss her!
erkundigt, ob der Earl sie in seinem Brief erwähnt habe.
“Nein, Mary” hatte der Vater gesagt. “Warum hätte er Bezug auf dich nehmen sollen? So, und nun störe mich bitte nicht länger!”
Enttäuscht hatte sie den Raum verlassen und war, sobald sie sich in ihrem Zimmer befand, in Tränen ausgebrochen.
Einige Tage später hatte der Vater ihr beim Frühstück kundgetan, sie werde Mr Wardour heiraten. Erschrocken hatte sie ihn darauf hingewiesen, dass Mr Wardour sehr viel älter war als sie, doch der Einwand war für ihn nicht von Belang gewesen. Er hatte ihr anvertraut, laut Auskunft seines Arztes werde er nicht mehr lange leben, und deshalb sähe er sich genötigt, sich darum zu kümmern, dass sie versorgt war. Im Übrigen sei Mr Wardour ein herzensguter Mensch, klug und aufmerksam, dazu ein anerkannter Mathematiker, mit dem zu arbeiten ihr gewiss Freude machen werde.
Mary war niedergeschlagen gewesen und hatte sich nicht weiter gegen den Vater aufgelehnt. Leider war es ihm vor dem Gesetz möglich, ihr den Gatten zu bestimmen. Schweigend hatte sie sich zurückgezogen und sich ihrem Kummer hingegeben.
Sie war schändlich von Russell hintergangen worden. Er hatte lediglich mit ihr gespielt und ihr seine Gefühle nur vorgetäuscht. Verbittert hatte sie sich damit abgefunden, dass er aus ihrem Leben geschieden war, und schließlich Mr Wardour geheiratet.
Im Verlauf der Zeit hatte sie sich bemüht, den Viscount zu vergessen, doch die Erinnerung an sein niederträchtiges Verhalten trieb ihr auch heute noch die Tränen in die Augen und ließ sie sich wiederholt fragen, ob sie nicht erneut das Risiko auf sich nahm, dass er ihr Glück ein weiteres Mal zerstörte.
Andererseits hatte sie in den verflossenen Wochen nicht den Eindruck gewonnen, er tändele nur mit ihr. Im Gegenteil, er wirkte ehrlich und sehr um sie bemüht, stets auf ihr Wohlergehen achtend, und seine Zärtlichkeiten zeugten von einer Leidenschaft, die ihrer Meinung nach nicht geheuchelt sein konnte.
Ihr war klar, dass sie früher oder später mit ihm über die Vergangenheit reden musste, wenn die Beziehung, die sie inzwischen zueinander hatten, nicht getrübt werden sollte. Da man jedoch bald in Ancoates eintreffen würde, entschied sie sich, dieses Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben, wenn sie mit Russell allein war und ungestört mit ihm reden konnte.
“Welch schreckliches Erlebnis!”, rief Charlotte entsetzt aus. “Welch ein Glück für dich, dass Lord Hadleigh in der Nähe war und dich aus der Gefahr befreien konnte! Und wie angenehm für euch beide, dass Sir Ralph euch bei sich aufgenommen hat, bis deine Kutsche wieder fahrbereit war! Wenn es Ihnen recht ist, Mylord, können Sie heute hier übernachten. Die Reise hierher war sehr lang, und möglicherweise sind Sie müde.”
Russell bedauerte, dass er nicht bleiben konnte, doch Sir Ralphs Äußerungen über Mr Shaws Sohn beunruhigten ihn stark. “Ich danke Ihnen für die freundliche Einladung”, erwiderte er höflich, “kann sie jedoch nicht annehmen, weil ich einen triftigen Grund habe, weshalb ich noch heute in Eddington Court sein muss. Ich möchte Sie indes bitten, mir zu gestatten, Ihnen und Ihrer Nichte so oft, wie es mir möglich ist, die Aufwartung machen zu dürfen.”
“Selbstverständlich können Sie zu uns kommen, wann immer es Ihnen genehm ist”, sagte Charlotte herzlich. “Vielleicht begegnen Sie dann ja unserem Einsiedler.”
“Einsiedler?” wiederholte Russell verblüfft.
“Ja, in der Umgebung von Ancoates, auf halbem Weg nach Cheney Court, lebt in einem halb verfallenen Cottage ein alter, weiser Mann, ein gewisser Gerald Sourton, der nur selten in den Ort kommt. Ich habe ihn noch nie gesehen, doch möglicherweise treffen Sie ihn einmal. Wie er sein Dasein fristet, weiß ich nicht. Vielleicht ergeht es ihm ebenso schlecht wie einigen der im Weiler wohnenden Familien, die dadurch, dass ihr Ernährer auf Veranlassung Ihres Verwalters die Arbeit auf Ihrem Gut aufgeben musste, in große Not geraten sind. Ist dieser unerfreuliche Vorgang der Grund dafür, dass Sie hergekommen sind? In all den Jahren hat sich keiner Ihrer Angehörigen hier blicken lassen.”
“Nein, das ist nicht der Anlass für meine Reise”, antwortete Russell. “Ich habe jetzt zum ersten Mal gehört, dass Tagelöhnern gekündigt wurde. Die Neugier hat mich bewogen, Eddington Court aufzusuchen, weil es der einzige Besitz meines Vaters ist, der eigenständig von einem Verwalter
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