Eine Braut muss her!
getäuscht.
Erschüttert erhob sie sich und erwiderte, sich den Anschein der Gelassenheit gebend: “Vielen Dank, Sir. Ich bin sicher, Lord Hadleigh wird sich mit mir in Verbindung setzen.”
“Leben Sie wohl, Madam”, sagte Arthur höflich, ging zur Tür und hielt sie ihr auf.
Sich würdevoll straffend, verließ sie den Raum und zwang sich, nicht zu weinen. Sie vermochte nicht zu begreifen, warum Russell sie erneut im Stich gelassen hatte, und fragte sich beklommen, wie sie der Tante die Entwicklung der Dinge mitteilen sollte.
In trüber Stimmung kehrte sie nach Haus zurück, suchte, sobald sie daheim war, die Tante in deren Boudoir auf, und setzte sie unumwunden über Russells schäbiges Verhalten in Kenntnis.
“Ich vermag nicht zu glauben, dass wir beide uns derart in seinem Charakter geirrt haben sollen”, meinte Charlotte mitfühlend. “Aber offensichtlich ist das der Fall. Nun, da Russell ein so unbeständiges Wesen hat, ist es das Beste, ihn zu vergessen.”
Das war ein Rat, den zu beherzigen Mary schwerfallen würde. Sie zog sich in ihr Zimmer zurück, weinte sich die Seele aus dem Leib und war auch in den folgenden Tagen äußerst niedergeschlagen. Immer wieder dachte sie an die schönen Stunden, die sie mit Russell verbracht hatte, seine Zärtlichkeiten, seine Versprechungen, und haderte mit sich, weil sie so leichtgläubig gewesen war.
Russell war seit über einer Woche verschwunden, als Mary im Garten Payne auf sich zukommen sah.
“Verzeihen Sie, Madam, wenn ich Sie störe”, sagte er höflich. “Kann ich einen Moment mit Ihnen sprechen?”
“Ja”, antwortete sie freundlich. “Was haben Sie auf dem Herzen?”
Er druckste ein Weilchen und antwortete dann zurückhaltend: “Mir ist klar, dass die Sache mich nichts angeht, aber einer der Bediensteten von Eddington Court hat gestern mir gegenüber angedeutet, er bezweifele, dass Seine Lordschaft nach London zurückgekehrt ist. Er meinte, die Umstände des Verschwindens von Lord Hadleigh seien sehr seltsam, und es gäbe viele Ungereimtheiten.”
“Ungereimtheiten?” wiederholte Mary erstaunt. “Was ist ihm befremdlich erschienen?”
“Nun, Seine Lordschaft hat einen Teil seiner Garderobe zurückgelassen, und außerdem seine wertvollen Pistolen, was bei einem Gentleman wie ihm sehr eigenartig sei. Zudem sei er von einem Augenblick zum anderen verschwunden, ohne dass er vorher bekannt gegeben hätte, er werde abreisen. Lediglich Mr Shaw soll informiert gewesen sein. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Lord Hadleigh das Anwesen hat instand setzen und alle Räumlichkeiten herrichten lassen, ist sein Verhalten besonders befremdlich.”
“Wahrscheinlich gibt es einen Grund, weshalb er so plötzlich abgereist ist”, warf Mary ein. “Verständlicherweise würde er, falls dringende Geschäfte seine Anwesenheit in London erforderlich machten, nicht erst das Personal ins Vertrauen ziehen.”
Im gleichen Moment fand sie, er hätte sie ins Vertrauen ziehen können, nein, müssen, denn schließlich hatte er die Absicht gehabt, sie zu heiraten. Sie hatte es wie eine Ohrfeige empfunden, dass er grußlos von ihr geschieden war.
“Danke, Payne, dass Sie mir das berichtet haben”, erwiderte sie ruhig.
Er verbeugte sich und kehrte ins Haus zurück.
Die Erinnerungen an Russell plagten sie den ganzen Tag hindurch und auch in der Nacht, sodass sie keinen Schlaf fand. Rastlos wälzte sie sich hin und her und grübelte über Russells merkwürdiges Verhalten nach. Einerseits schienen die Bilder sich zu gleichen, denn sein Betragen entsprach dem, das er vor dreizehn Jahren in Oxford an den Tag gelegt hatte. Andererseits hatte er sich in den verflossenen Monaten sehr verändert und den Eindruck erweckt, verlässlich und vertrauenswürdig zu sein.
Sie überlegte, ob an den Andeutungen des Bediensteten von Eddington Court etwas Wahres sein mochte, und gelangte zu dem Schluss, es sei tatsächlich äußerst ungewöhnlich, dass Russell, selbst wenn er unvermittelt genötigt gewesen war, nach London zu fahren, nur Mr Shaw von seiner Abreise in Kenntnis gesetzt hatte. Zumindest die Wirtschafterin, sein jetziger Kammerdiener, die Köchin und der Butler hätten ebenfalls Bescheid wissen müssen.
Briggs hatte einen sehr befangenen Eindruck auf Mary gemacht, als sie vor Tagen von ihm ins Haus gelassen worden war. Möglicherweise hatten er und Mr Shaw mehr zu vertuschen, als bisher bekannt war. Der Verwalter war, trotz seines in letzter Zeit ordentlichen
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