Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Dann führte er das Pferd des jungen Mädchens eine halbe Stunde lang in starkem Galopp, machte Umwege und Kehrtwendungen, kreuzte in den Lichtungen mehrmals den eignen Weg, um die Spur zu verwischen, und machte schließlich halt. »Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, und ich kenne den Wald doch so gut wie Sie«, sagte die Gräfin, sich umblickend.
»Wir sind genau in der Mitte«, entgegnete er. »Wir haben zwei Gendarmen hinter uns, aber wir sind gerettet!«
Den malerischen Ort, an den der Verwalter Laurence geführt hatte, sollte für die Hauptpersonen dieses Dramas und für Michu selbst so verhängnisvoll werden, daß es Pflicht des Geschichtschreibers ist, ihn zu schildern. Die Landschaft ist übrigens, wie man sehen wird, in den Gerichtsannalen des Kaiserreichs berühmt geworden. Der Wald von Nodesme gehörte zu einem Kloster namens Notre Dame, das erobert, geplündert, zerstört wurde und völlig verschwand, die Mönche wie der Besitz. Der Wald, ein Gegenstand der Habgier, fiel den Grafen der Champagne zu, die ihn später verpfändeten und ihn verkaufen ließen. In sechs Jahrhunderten bedeckte die Natur die Ruinen mit ihrem reichen und starken grünen Mantel und tilgte sie derart aus, daß von dem Dasein eines der schönsten Klöster nur noch eine ziemlich schwache Bodenerhebung zeugte, die von schönen Bäumen beschattet und von undurchdringlich dichtem Gebüsch umschlossen war. Michu hatte es seit 1794 selbst noch dichter gemacht, indem er dornige Akazien in die buschlosen Zwischenräume pflanzte. Am Fuße dieser Erhebung lag ein Sumpf, das Zeichen einer versickerten Quelle, die zweifellos einst die Anlage des Klosters bestimmt hatte. Der Inhaber der Eigentumsurkunden des Waldes von Nodesme hatte allein die Herkunft dieses achthundert Jahre alten Wortes erkannt und daraus schließen können, daß einst ein Kloster mitten im Walde gelegen hatte. Bei den ersten Donnerschlägen der Revolution hatte der Marquis von Simeuse sich wegen einer Besitzanfechtung auf diese Urkunden berufen müssen und so diese Besonderheit durch Zufall erfahren. Nun begann er in einem leicht begreiflichen Hintergedanken die Stätte des Klosters zu suchen. Der Waldhüter, dem der Wald so gut bekannt war, hatte seinem Herrn natürlich dabei geholfen und in seinem Försterscharfsinn die Lage des Klosters erkannt. Indem er die Richtung der fünf Hauptwege des Waldes verfolgte, von denen mehrere verschwunden waren, erkannte er, daß alle zu dem Hügel und dem Sumpfe führten, wohin man früher von Troyes, aus dem Tal von Arcis, dem Tal von Cinq-Cygne und von Bar-sur-Aube kommen mußte. Der Marquis wollte den Hügel untersuchen lassen, konnte zu dieser Arbeit jedoch nur landfremde Leute verwenden. Unter dem Druck der Verhältnisse gab er seine Nachforschungen auf, doch in Michus Geist blieb der Gedanke rege, daß die Bodenerhebung Schätze oder die Grundmauern der Abtei berge. Michu setzte diese Altertumsforschung fort; er merkte, daß der Boden hohl klang, selbst in Höhe des Sumpfes, zwischen zwei Bäumen, am Fuße der einzigen steilen Stelle der Anhöhe. In einer schönen Nacht ging er mit einem Spaten an die Arbeit und legte eine Kelleröffnung frei, in die man auf Steinstufen hinabstieg. Der Sumpf, der an seiner tiefsten Stelle drei Fuß tief ist, hat die Form eines Spatels, dessen Griff aus dem Hügel zu kommen scheint. Man könnte glauben, daß aus diesem künstlichen Felsen eine verlorene Quelle kommt, die durch den weiten Wald versickert. Dieser Sumpf, der von Wasser liebenden Bäumen, von Erlen, Weiden und Eschen umsäumt wird, ist der Treffpunkt der Pfade, die von den alten Straßen und den heute verödeten Waldalleen übriggeblieben sind. Das frische, scheinbar stehende Wasser, das mit großblättrigen Pflanzen und Kresse bedeckt ist, zeigt eine völlig grüne Fläche, die sich kaum von den Ufern mit ihrem feinen dichten Gras unterscheidet. Es ist zu fern von allen Wohnstätten, als daß außer dem Wild irgendein Tier dort zur Tränke käme. In der Überzeugung, daß unter diesem Sumpfe nichts sein könne, und von den unzugänglichen Rändern des Hügels abgeschreckt, hatten die Waldhüter oder Jäger diesen Winkel, der zum ältesten Schlage des Waldes gehörte, nie untersucht noch durchforscht, und Michu hatte ihn, als er geschlagen werden sollte, als Hochwald stehen lassen. Am Ende des Kellers liegt ein gewölbtes Verließ, rein und gesund, ganz aus Quadersteinen erbaut, nach Art des sogenannten In pace, des Kerkers der
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