Eine dunkle Geschichte (German Edition)
würden!«
»Meine Stute kommt aus den Ställen des Grafen von Artois. Ihre Mutter ist eins der schönsten englischen Pferde, aber sie hat sechsunddreißig Wegstunden gemacht. Sie stürbe, ohne Sie ans Ziel gebracht zu haben«, sagte sie.
»Mein Pferd ist gut,« versetzte Michu, »und wenn Sie sechsunddreißig Wegstunden gemacht haben, werde ich nur achtzehn zu machen haben.«
»Dreiundzwanzig,« entgegnete sie, »denn sie sind seit fünf Stunden unterwegs. Sie finden sie jenseits Lagny in Coupvrai, das sie bei Morgengrauen, als Schiffer verkleidet, verlassen sollen. Sie beabsichtigen auf Schiffen nach Paris hereinzukommen. Hier«, sagte sie und zog die Hälfte des Traurings ihrer Mutter vom Finger, »ist das einzige, dem sie Glauben schenken werden. Ich gab ihnen die andre Hälfte. Der Wächter von Coupvrai, der Vater eines ihrer Soldaten, versteckt sie heute nacht in einer verlassenen Köhlerhütte mitten im Walde. Sie sind im ganzen acht. Die Hauteserres und vier Leute sind mit meinen Vettern.«
»Fräulein, den Soldaten wird man nicht nachlaufen. Kümmern wir uns nur um die Herren von Simeuse und lassen Sie die andern sich retten, wie es ihnen beliebt. Genügt es nicht, ihnen zuzurufen: ›Es geht um Hals und Kragen‹?«
»Die Hauteserres im Stiche lassen? Nie!« rief sie. »Sie müssen alle zusammen untergehen oder sich retten!«
»Kleine Edelleute?« warf Michu ein.
»Sie sind nur Chevaliers,« entgegnete sie; »das weiß ich. Aber sie haben sich mit den Cinq-Cygnes und den Simeuses verbündet. Bringen Sie also meine Vettern und die Hauteserres zurück und beraten Sie sich mit ihnen, wie sie diesen Wald am besten erreichen können.«
»Da sind die Gendarmen! Hören Sie sie? Sie halten Rat.«
»Nun, Sie hatten heute abend schon zweimal Glück. Gehen Sie, und bringen Sie sie her. Verstecken Sie sie in diesem Keller, hier sind sie vor allen Nachstellungen geschützt! Ich kann Ihnen zu nichts nützen,« versetzte sie wütend, »ich wäre nur ein Fanal, das dem Feinde leuchtete. Wenn die Polizei mich ruhig sieht, wird sie nie auf den Einfall kommen, daß meine Verwandten in den Wald zurückkehren könnten. Somit besteht die ganze Frage darin, fünf gute Pferde zu finden, um in sechs Stunden von Lagny nach unserem Walde zu kommen, fünf Pferde, die man tot in einem Dickicht liegen lassen muß.«
»Und Geld?« entgegnete Michu, der der jungen Gräfin mit tiefem Nachdenken zuhörte.
»Ich gab meinen Vettern heute abend hundert Louisdors.«
»Ich bürge für sie!« rief Michu aus. »Sind sie erst versteckt, so müssen Sie darauf verzichten, sie zu sehen. Meine Frau oder mein Junge werden ihnen zweimal wöchentlich Essen bringen. Aber da ich für mich nicht bürge, so müssen Sie, Fräulein, im Fall eines Unglücks wissen, daß der Hauptbalken meines Pavillons mit einem Bohrer ausgehöhlt ist. In dem Loch, das mit einem dicken Pflocke verstopft ist, befindet sich der Plan zu einem Winkel des Waldes. Die Bäume, die auf dem Plane mit einem roten Punkte bezeichnet sind, tragen im Wald einen schwarzen Streifen am Fuße. Jeder dieser Bäume ist ein Wegweiser. Unter der dritten alten Eiche links von jedem Wegweiser liegen, zwei Schritte von dem Stamme, Blechröhren, sieben Fuß tief vergraben; in jeder sind hunderttausend Franken in Gold. Diese elf Bäume, es sind, nur elf, sind das ganze Vermögen der Simeuses, seit Gondreville ihnen genommen ist.«
»Der Adel wird hundert Jahre brauchen, um sich von solchen Schlägen zu erholen!« versetzte Fräulein von Cinq-Cygne langsam.
»Gibt es eine Parole?« fragte Michu.
» Frankreich und Karl für die Soldaten, Laurence und Ludwig für die Herren von Hauteserre und von Simeuse. Mein Gott, gestern sah ich sie zum erstenmal seit elf Jahren wieder, und heute muß ich sie in Todesgefahr wissen – und welch eines Todes! Michu,« sagte sie mit schwermütigem Ausdruck, »seien Sie während dieser fünfzehn Stunden ebenso vorsichtig, wie Sie in diesen zwölf Jahren groß und treu waren. Wenn meinen Vettern etwas zustieße, so stürbe ich ... Nein,« verbesserte sie sich, »ich würde lange genug leben, um Bonaparte zu töten!«
»Ich bin der Zweite im Bunde, an dem Tage, wo alles verloren ist.«
Laurence ergriff Michus rauhe Hand und drückte sie kräftig nach englischer Art. Michu zog seine Uhr; es war Mitternacht.
»Wir müssen um jeden Preis hinaus«, sagte er. »Wehe dem Gendarmen, der mir den Weg versperrt! – Und Sie, ohne Ihnen etwas zu befehlen, Frau Gräfin,
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