Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Klöster. Der gesunde Zustand des Kerkers, die Erhaltung des Treppenrestes und des Gewölbes erklären sich durch die Quelle, die bei der Zerstörung verschont geblieben war, und durch eine wahrscheinlich sehr dicke Mauer aus Ziegeln und Zement nach Art der römischen Mauern, die das Wasser von oben abhielt. Michu schloß den Eingang dieses Schlupfwinkels mit großen Steinen; und um das Geheimnis für sich zu behalten und es undurchdringlich zu machen, machte er es sich zur Pflicht, die bewaldete Anhöhe hinanzusteigen und über die steilen Abfall in den Keller hinabzugehen, statt ihn von dem Sumpf aus zu betreten.
In dem Augenblick, da die beiden Flüchtlinge dort anlangten, lag das silberne Mondlicht auf den uralten Bäumen des Hügels und spielte in den prachtvollen Gruppen der von den dort einmündenden Wegen mannigfach ausgeschnittenen Waldzungen: die einen abgerundet, die andern spitz, die eine in einem einzelnen Baum endend, die andre in einem Waldstück. Von hier verlor sich der Blick unwiderstehlich in fliehende Perspektiven und folgte bald der Biegung eines Pfades, bald dem prächtigen Durchblick einer langen Waldallee, bald einer fast schwarzen Laubwand. In dem durch das Astwerk dieser Wegekreuzung sickernden Lichte blickten an den offnen Stellen zwischen der Kresse und den Seerosen ein paar Diamanten des stillen, unbekannten Wassers auf. Das Quaken der Frösche störte die tiefe Stille dieses holden Waldwinkels, dessen wilder Duft die Seele mit Freiheitsgedanken erfüllte. »Sind wir wirklich gerettet?« fragte die Gräfin Michu.
»Ja, gnädiges Fräulein. Aber wir haben beide noch unsre Aufgabe. Binden Sie unsre Pferde oben auf dem kleinen Hügel an Bäume, und knüpfen Sie jedem ein Tuch ums Maul«, sagte er, ihr seine Halsbinde reichend. »Sie sind alle beide klug und wissen dann, daß sie still sein müssen. Sind Sie fertig, dann steigen Sie über diesen Abhang gerade zum Wasser herab; bleiben Sie nicht mit Ihrem Reitkleid hängen; Sie finden mich unten.«
Während die Gräfin die Pferde versteckte, anband und knebelte, wälzte Michu die Steine fort und legte den Eingang zum Keller frei. Die Gräfin, die den Wald zu kennen glaubte, war aufs höchste erstaunt, sich unter einer Kellerwölbung zu sehen. Michu legte die Steine, geschickt wie ein Maurer, wieder gewölbt über den Eingang. Als er fertig war, hallten der Hufschlag der Pferde und die Stimmen der Gendarmen durch die nächtliche Stille, aber er schlug ruhig das Feuerzeug an, entzündete einen kleinen Fichtenast und führte die Gräfin in das Verließ, wo sich noch ein Lichtstumpf befand, bei dessen Schein er den Keller erkundet hatte. Die mehrere Zoll dicke, hier und da vom Rost zerfressene Eisenpforte war vom Verwalter ausgeflickt worden. Sie wurde von außen mit Riegeln verschlossen, die auf beiden Seiten in Löcher paßten. Todmüde setzte die Gräfin sich auf eine Steinbank, über der sich noch ein in die Wand eingelassener Ring befand. »Wir haben einen Salon zum Plaudern«, sagte Michu. »Jetzt können die Gendarmen umherstreifen, solange sie wollen. Das Schlimmste, was uns geschehen könnte, wäre, daß sie uns unsre Pferde wegnähmen.«
»Uns unsre Pferde wegnehmen,« versetzte Laurence. »das wäre der Tod für meine Vettern und die Herren von Hauteserre! ... Nun, was wissen Sie?«
Michu erzählte das wenige, was er von der Unterhaltung zwischen Malin und Grévin erlauscht hatte. »Sie sind unterwegs nach Paris und werden morgen früh dort eintreffen«, sagte die Gräfin, als er geendet hatte.
»Verloren!« rief Michu. »Sie begreifen, daß alle, die hinein und hinaus wollen, an den Toren überwacht werden. Malin hat das größte Interesse daran, daß meine Herren sich gründlich bloßstellen, damit er sie umbringen kann.« »Und ich weiß nichts von dem allgemeinen Plan der Sache!« rief Laurence aus. »Wie soll man Georges, Rivière und Moreau warnen? Wo sind sie? Aber denken wir nur an meine Vettern und an die Hauteserres. Holen Sie sie um jeden Preis ein.« »Der Telegraph läuft schneller als die schnellsten Pferde,« sagte Michu, »und von allen Adligen, die in diese Verschwörung verwickelt sind, sind Ihre Vettern am leichtesten aufzuspüren. Wenn ich sie wiederfinde, müssen sie hier untergebracht werden. Wir verbergen sie hier, bis die Sache vorbei ist. Ihr armer Vater hatte vielleicht eine Vorahnung, als er mich auf die Spur dieses Schlupfwinkels brachte. Er ahnte, daß seine Söhne sich hierher retten
Weitere Kostenlose Bücher