Eine dunkle Geschichte (German Edition)
um die Gendarmerie zu benachrichtigen. Sofort erzählte Violette Herrn Grévin seine Begegnung mit Laurence und die Flucht des verwegenen jungen Mädchens, deren tiefen, entschlossenen Charakter beide kannten.
»Sie stand Posten«, sagte Violette.
»Ist's möglich, daß die Adligen von Cinq-Cygne den Streich ausgeführt haben?« rief Grévin aus.
»Wie!« entgegnete Violette, »haben Sie den dicken Michu nicht erkannt? Er hat sich auf uns geworfen! Ich habe seinen Griff wohl gespürt. Zudem waren die fünf Pferde die von Cinq-Cygne.«
Als der Notar die Hufspuren auf dem Sande des Rondels und im Park erblickte, ließ er den Feldhüter zur Beobachtung am Gitter, damit die kostbaren Hufspuren erhalten blieben, und schickte Violette zum Friedensrichter nach Arcis, damit er den Tatbestand feststellte. Dann kehrte er schleunigst in den Salon des Schlosses Gondreville zurück, wo der Leutnant und der Unterleutnant der Kaiserlichen Gendarmerie soeben eintrafen, von vier Leuten und einem Brigadier begleitet. Dieser Leutnant war, wie man sich denken kann, der Brigadier, dem Franz vor zwei Jahren ein Loch im Kopf beigebracht hatte und der damals durch Corentin erfahren hatte, wer sein boshafter Gegner war. Dieser Mann namens Giguet, dessen Bruder Soldat war und einer der besten Artillerieobersten wurde, zeichnete sich durch seine Fähigkeit als Gendarmerieoffizier aus. Später befehligte er die Schwadron der Aube. Der Unterleutnant Welff hatte seinerzeit Corentin von Cinq-Cygne nach dem Pavillon und von da nach Troyes gefahren. Unterwegs hatte der Pariser den Ägyptenkämpfer hinreichend über das aufgeklärt, was er die Durchtriebenheit von Laurence und Michu nannte. Diese beiden Offiziere mußten also großen Eifer gegen die Bewohner von Cinq-Cygne zeigen und taten es auch. Malin und Grevin hatten beide für einander an dem sogenannten Gesetzbuch vom Brumaire des Jahres IV mitgearbeitet, dem Gesetzgebungswerk des sogenannten Nationalkonvents, das vom Direktorium veröffentlicht worden war. Somit konnte Grévin, der diese Gesetzgebung gründlich kannte, in dieser Sache mit furchtbarer Schnelligkeit vorgehen, allerdings unter der fast zur Gewißheit gewordenen Voraussetzung, daß Michu, die Herren von Hauteserre und von Simeuse schuldig waren. Außer ein paar alten Richtern entsinnt sich heute kein Mensch mehr der Einrichtung dieser Rechtsprechung, die Napoleon gerade damals durch die Veröffentlichung seiner Gesetzbücher und die Einsetzung seines Richterstandes umstieß, wie er heute in Frankreich herrscht.
Das Gesetzbuch vom Brumaire des Jahres IV behielt dem Direktor der Jury des Departements die unmittelbare Strafverfolgung des auf Gondreville begangenen Vergehens vor. Man bemerke nebenbei, daß der Konvent das Wort Verbrechen aus der Rechtssprache gestrichen hatte. Er erkannte nur Vergehen gegen das Gesetz an, die mit Geldstrafen, Gefängnis, Ehren- oder Leibesstrafen bedacht waren. Der Tod war eine Leibesstrafe. Jedoch sollte die Todesstrafe im Frieden aufgehoben und durch vierundzwanzig Jahre Zwangsarbeit ersetzt werden. Somit hielt der Konvent vierundzwanzig Jahre Zwangsarbeit der Todesstrafe für gleichwertig. Was soll man von einem Strafgesetzbuch sagen, das lebenslängliche Zwangsarbeit verhängt? Die damals von Napoleons Staatsrat ausgearbeitete Gerichtsverfassung hob das Richteramt des Direktors der Jury auf, das in der Tat eine ungeheure Macht verlieh. Bezüglich der Strafverfolgung und der Erhebung der Anklage war der Direktor der Jury gewissermaßen Kriminalpolizist, Staatsanwalt, Untersuchungsrichter und Gerichtshof in einer Person. Sein Strafverfahren und seine Erhebung der Anklage unterlag nur dem Visum eines Kommissars der vollziehenden Gewalt und dem Verdikt von acht Geschworenen, denen er die Tatsachen seiner Untersuchung darlegte, die die Zeugen und Angeklagten verhörten und ein erstes Urteil, das sogenannte Anklageurteil, fällten. Der Direktor mußte auf die in seinem Arbeitszimmer vereinigten Geschworenen eine solche Macht ausüben, daß sie nur seine Mitarbeiter sein konnten. Diese Geschworenen bildeten die Anklagejury. Es gab noch andere Geschworene, die die Jury des Strafgerichts bildeten, das die Angeklagten abzuurteilen hatte. Im Gegensatz zu den Anklagegeschworenen hießen diese Urteilsgeschworene. Das Strafgericht, dem Napoleon soeben den Namen Kriminalgericht gegeben hatte, bestand aus einem Präsidenten, vier Richtern, dem öffentlichen Ankläger und einem Regierungskommissar. Indes gab
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