Eine dunkle Geschichte (German Edition)
gleichzeitig vorzugehen, denn er begäbe sich zu Michus Pachthof, um dort den vermutlichen Führer der Missetäter zu verhaften. Diese neuen Umstände schienen so entscheidend, daß Lechesneau sofort nach Cinq-Cygne aufbrach, nachdem er Grévin anempfohlen hatte, die Hufspuren der Pferde im Park sorgfältig bewachen zu lassen. Der Direktor der Jury wußte, welche Freude sein Vorgehen gegen frühere Adlige und Volksfeinde, die nun zu Feinden des Kaisers geworden waren, in Troyes erregen würde. Bei solchen Stimmungen nimmt ein Richter einfache Mutmaßungen leicht für offenkundige Beweise. Nichtsdestoweniger fand Lechesneau, als er im Wagen des Senators von Gondreville nach Cinq-Cygne fuhr, die Verwegenheit der jungen Leute und Michus recht töricht und wenig im Einklang mit dem Geiste des Fräuleins von Cinq-Cygne. War er doch ein tüchtiger Richter, der es ohne die Leidenschaft, der er seine Ungnade verdankte – denn der Kaiser wurde damals prüde – weit gebracht hätte. Er selbst glaubte an andere Absichten als die, von dem Senator einen Verzicht auf Gondreville zu erpressen. In allen Dingen, selbst im Richterstande, gibt es das, was man das Berufsgewissen nennen muß. Lechesneaus Ratlosigkeit entsprang aus diesem Gewissen, mit dem jeder Mensch ihm zusagende Pflichten erfüllt, das die Gelehrten in der Wissenschaft, die Künstler in der Kunst, die Richter in der Rechtsprechung bekunden. Daher bieten die Richter den Angeklagten vielleicht auch mehr Bürgschaften als die Geschworenen. Ein Richter vertraut nur auf die Gesetze der Vernunft, während die Geschworenen sich von Gefühlswallungen hinreißen lassen. Der Direktor der Jury stellte sich selbst mehrere Fragen und nahm sich vor, bei der Verhaftung der Delinquenten befriedigende Antworten darauf zu finden. Obwohl die Kunde von Malins Entführung bereits die Stadt Troyes in Aufregung versetzte, war sie in Arcis um acht Uhr noch unbekannt, denn alles war beim Abendbrot, als man die Gendarmerie und den Friedensrichter holte. In Cinq-Cygne endlich, dessen Tal und Schloß zum zweitenmal umstellt wurden, diesmal freilich von der Justiz und nicht von der Polizei, wußte noch niemand etwas davon; und Vergleiche, die mit der einen möglich sind, sind mit der anderen oft ausgeschlossen.
Laurence hatte Martha, Katharina und den Durieus nur zu sagen brauchen, sie sollten im Schloß bleiben, ohne es zu verlassen oder hinauszublicken, um pünktlichen Gehorsam zu finden. Nach jedem Ritt blieben die Pferde in dem Hohlweg gegenüber der Bresche stehen, und von dort hatten Robert und Michu, die kräftigsten des Trupps, die Säcke heimlich durch die Bresche in einen Keller bringen können, der sich unter der Treppe des sogenannten Damenturms befand. Als sie gegen halb sechs Uhr im Schlosse anlangten, begannen die vier Edelleute und Michu dort sofort mit dem Vergraben des Goldes. Laurence und die Hauteserres hielten es für zweckmäßig, den Keller zu vermauern. Michu übernahm diese Arbeit und ließ sich dabei von Gotthard helfen, der nach dem Pachthofe lief, um ein paar Säcke Kalk zu holen, die aus der Zeit des Baues dort liegen geblieben waren, und Martha kehrte nach Hause zurück, um Gotthard heimlich die Säcke zu geben. Der von Michu erbaute Pachthof stand auf der Anhöhe, von der aus er einst die Gendarmen erblickt hatte, und der Weg dorthin führte durch den Hohlweg. Michu, der sehr ausgehungert war, sputete sich so sehr, daß er seine Arbeit gegen halb acht Uhr beendet hatte. Er kehrte raschen Schritts zurück, um zu verhindern, daß Gotthard einen letzten Sack Kalk brachte, den er noch zu brauchen geglaubt hatte. Sein Pachthof war bereits von dem Feldhüter von Cinq-Cygne, dem Friedensrichter, seinem Schreiber und drei Gendarmen umstellt, die sich versteckten, als sie ihn kommen hörten, und ihn hineinließen.
Michu begegnete Gotthard mit einem Sack auf der Schulter und rief ihm von weitem zu:
»Ich bin fertig, Kleiner! Trag ihn zurück und iß mit uns.«
Fröhlich betrat Michu die Küche seines Pachthofes, wo Marthas Mutter und Martha die Suppe auftrugen und ihn erwarteten. Seine Stirn war schweißbedeckt, seine Kleider mit Kalk und Resten der schmutzigen Kalksteine beschmiert, die aus dem Schutt der Bresche stammten.
In dem Augenblick, da Michu den Wasserhahn aufdrehte, um sich die Hände zu waschen, erschien der Friedensrichter in Begleitung seines Schreibers und des Feldhüters.
»Was wollen Sie von uns, Herr Pigault?« fragte Michu.
»Im Namen des Kaisers
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