Eine dunkle Geschichte (German Edition)
der Worte über Leben und Tod sprechen sollte. Herr von Hauteserre wischte sich Schweißtropfen von der Stirn. Laurence blickte den jungen Advokaten an und fand, daß er betrübt dreinschaute.
»Nun, mein lieber Bordin?« sagte der Marquis, ihm seine Tabaksdose reichend, aus der der Anwalt mit zerstreuter Miene nahm.
Bordin rieb sich die Waden, die in groben schwarzen Strümpfen aus Florettseide steckten; denn er trug Kniehosen aus schwarzem Tuch und einen Rock in der Art der sogenannten französischen Röcke. Er warf seinen boshaften Blick auf seine Klienten und gab ihm einen ängstlichen Ausdruck, von dem sie erstarrten.
»Soll ich Ihnen das zergliedern und frei heraus sprechen?« fragte er.
»Nur zu«, sagte Laurence.
»Alles Gute, was Sie getan haben, wird zur Belastung für Sie«, sagte der alte Praktikus. »Man kann Ihre Verwandten nicht retten, sondern nur die Strafe herabsetzen. Ihr Befehl an Michu, seinen Besitz zu verkaufen, wird als der schlagkräftigste Beweis für Ihre verbrecherischen Absichten gegen den Senator gelten. Sie haben Ihre Leute eigens nach Troyes geschickt, um allein zu sein, und das wird um so stichhaltiger sein, als es die Wahrheit ist. Der ältere Hauteserre hat zu Beauvisage ein furchtbares Wort gesagt, das Sie alle zugrunde richtet. Sie haben auf Ihrem Hofe ein anderes Wort gesagt, das Ihre schlimmen Absichten gegen Gondreville lange im voraus bewies. Sie selbst standen im Augenblick des Handstreiches am Gitter auf Posten; wenn Ihnen nicht der Prozeß gemacht wird, so geschieht es, um kein Element der Anteilnahme in die Sache hineinzubringen.«
»Die Sache ist unhaltbar!« rief Herr von Granville aus.
»Sie ist um so unhaltbarer,« fuhr Bordin fort, »als man nicht mehr die Wahrheit sagen kann. Michu, die Herren von Hauteserre und von Simeuse müssen sich auf die bloße Behauptung beschränken, sie wären mit Ihnen einen Teil des Tages im Walde gewesen und zum Frühstück nach Cinq-Cygne gekommen. Aber wenn wir feststellen können, daß Sie alle um drei Uhr dort waren, während das Attentat stattfand, wer sind dann unsere Zeugen? Martha, die Frau eines Angeklagten, die Durieus und Katharina, die in Ihrem Dienst stehen, Herr und Frau von Hauteserre, die Eltern zweier Angeklagten! Diese Zeugen sind wertlos, das Gesetz läßt sie nicht gegen Sie zu, der gesunde Menschenverstand lehnt sie zu Ihren Gunsten ab. Wenn Sie unglücklicherweise sagten, Sie hätten achthunderttausend Franken in Gold aus dem Walde geholt, so brächten Sie alle Angeklagten als Diebe ins Zuchthaus. Öffentlicher Ankläger, Geschworene, Richter, Publikum und ganz Frankreich würden glauben, Sie hätten dies Gold in Gondreville gestohlen und den Senator seiner Freiheit beraubt, um Ihren Handstreich auszuführen. Nimmt man die Anklage, wie sie in diesem Augenblick steht, so liegt die Sache nicht klar; aber in ihrer reinen Wahrheit würde sie durchsichtig: die Geschworenen würden alle Dunkelheiten durch den Diebstahl erklären, denn Royalist sein heißt heute so viel wie Räuber sein! Der vorliegende Fall stellt eine bei der politischen Lage unzulässige Rache dar. Die Angeklagten erleiden die Todesstrafe, aber sie ist nicht in aller Augen entehrend. Mischt man aber den Raub des Geldes hinein, der nie als berechtigt erscheinen wird, so verlieren Sie den Vorteil der Teilnahme, die zum Tode Verurteilten zuteil wird, wenn ihr Verbrechen als entschuldbar erscheint. Im ersten Augenblick, als Sie noch Ihre Verstecke, den Plan des Waldes, die Blechröhren und das Gold vorweisen konnten, um den Nachweis über die Verwendung Ihres Tages zu führen, wäre es noch möglich gewesen, sich vor unparteiischen Richtern herauszuziehen. Aber wie die Dinge jetzt liegen, muß man schweigen. Gott gebe, daß keiner der sechs Angeklagten die Sache verraten hat, aber wir werden sehen, daß wir aus ihren Verhören Nutzen ziehen.« Laurence rang verzweifelt die Hände und blickte trostlos gen Himmel, denn nun erkannte sie die ganze Tiefe des Abgrunds, in den ihre Vettern gestürzt waren. Der Marquis und der junge Verteidiger pflichteten Bordins furchtbarer Rede bei.
Der biedere Hauteserre weinte.
»Weshalb hast du nicht auf den Abbé Goujet gehört, der ihnen zur Flucht riet!« rief Frau von Hauteserre erbittert.
»Ach,« rief der alte Anwalt, »wenn Sie sie retten konnten und es nicht taten, so haben Sie sie selbst getötet! Die Verurteilung in Abwesenheit gibt Zeit. Mit der Zeit klären Unschuldige alles auf. Diese Sache scheint mir
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