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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ankläger; »denn entweder sind wir blöde Verbrecher, und das glauben Sie selbst nicht, oder Unschuldige, Opfer von Umständen, die für uns wie für Sie unerklärlich sind! Sie sollten vielmehr nach der Menge Papier fahnden, die bei dem Senator verbrannt worden ist. Das offenbart gewaltsamere Interessen als die unsren, und es würde Aufschluß über seine Entführung geben ...«
    Mit wunderbarem Geschick ging er auf diese Hypothesen ein. Er betonte die Moralität der Entlastungszeugen, deren religiöser Glaube lebendig sei, die an ein künftiges Leben und an ewige Strafen glaubten. Hier wurde er erhaben und verstand tief zu rühren.
    »Wie«, sagte er, »diese Verbrecher gehen ruhig zu Tisch, als sie von ihrer Base die Entführung des Senators hören. Als der Gendarmerieoffizier ihnen die Mittel nahelegt, alles ins reine zu bringen, weigern sie sich, den Senator herauszugeben, und wissen nicht, was man von ihnen will!«
    Er ließ nun etwas Geheimnisvolles durchblicken, dessen Schlüssel in den Händen der Zeit läge, die diese ungerechte Anklage entschleiern würde. Sobald er auf diesem Gebiet war, hatte er die kecke und geistreiche Geschicklichkeit, sich an die Stelle eines Geschworenen zu versetzen. Er erzählte, wie er sich mit seinen Kollegen beraten würde, stellte sich als derart unglücklich hin, wenn er die Ursache zu grausamen Verurteilungen gewesen wäre und der Irrtum sich herausstellte; er schilderte seine Gewissensbisse so gut und ging so kraftvoll auf die Zweifel ein, die das Plädoyer in ihm erwecken würde, daß er die Geschworenen mit furchtbarer Bangigkeit erfüllte. Die Geschworenen waren damals gegen derartige Ansprachen noch nicht abgestumpft, da sie noch den Reiz der Neuheit besaßen, und die Jury war erschüttert.
    Nach dem leidenschaftlichen Plädoyer Granvilles hatten sie noch den schlauen und bestrickenden Bordin anzuhören, der die Bedenken vermehrte, alle dunklen Teile des Prozesses hervorhob und ihn unerklärlich machte. Er hatte es darauf angelegt, den Geist und den Verstand zu packen, wie Herr von Granville das Herz und die Phantasie bearbeitet hatte. Kurz, er verstand es, die Geschworenen mit einer so ernsten Überzeugung zu umspinnen, daß der öffentliche Ankläger sein Gebäude zusammenbrechen sah. Das war so klar, daß der Verteidiger der Herren von Hauteserre und Gotthards das weitere der Klugheit der Geschworenen anheimgab, denn er fand, daß die Anklage gegen sie hinfällig war.
    Der Ankläger bat, seine Entgegnung auf den nächsten Tag zu verschieben. Bordin, der in den Augen der Geschworenen einen Freispruch las, wenn sie unter dem Eindruck dieser Plädoyers berieten, war aus rechtlichen und sachlichen Gründen dagegen, daß die Herzen seiner unschuldigen Klienten noch eine Nacht in Angst und Bangen schwebten. Der Gerichtshof zog sich zur Beratung zurück.
    »Das öffentliche Interesse scheint mir dem der Angeklagten gleichwertig zu sein«, sagte der Präsident. »Der Gerichtshof würde gegen jeden Begriff der Billigkeit verstoßen, wenn er der Verteidigung eine solche Bitte abschlüge; er muß sie also auch der Anklage gewähren.«
    »Alles ist Glückssache«, sagte Bordin mit einem Blick auf seine Klienten. »Heute abend freigesprochen, können Sie morgen verurteilt werden.«
    »Jedenfalls«, sagte der ältere Simeuse, »können wir Sie nur bewundern.«
    Fräulein von Cinq-Cygne hatte Tränen in den Augen. Nach den Zweifeln der Verteidiger glaubte sie nicht an einen solchen Erfolg. Man beglückwünschte sie, und alles kam herbei, um ihr die Freisprechung ihrer Vettern zu prophezeien. Aber dieser Prozeß sollte mit dem stärksten, unheilvollsten und unvorhergesehensten Theatercoup enden, der je das Antlitz eines Strafprozesses verwandelt hat!
    Am Tage nach dem Plädoyer des Herrn von Granville, um fünf Uhr morgens, wurde der Senator auf der Landstraße nach Troyes gefunden. Während seines Schlummers hatten unbekannte Befreier ihn von seinen Fesseln erlöst, und er ging nach Troyes, ohne Ahnung von dem Prozeß, ohne zu wissen, welchen Widerhall sein Name in Europa gefunden hatte, aber glücklich, die freie Luft zu atmen. Der Mann, der den Angelpunkt dieses Dramas bildete, war ebenso verblüfft über das, was er erfuhr, wie die, welche ihm begegneten, es über seinen Anblick waren. Man gab ihm den Wagen eines Pächters, und er kam rasch nach Troyes zum Präfekten. Der benachrichtigte sofort den Direktor der Jury, den Regierungskommissar und den öffentlichen Ankläger, der

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