Eine dunkle & grimmige Geschichte
Teil«. Ich wusste, er würde in jeder Geschichte vorkommen, und ich wusste, dass es danach nur besser werden konnte. Aber bis es wieder bergauf ging, wiederholte ich immer: »Das ist der traurige Teil, das ist der traurige Teil.«
Als ich diese Geschichte zusammengefügt habe, kam ich wieder an diesen Punkt. Ich erkannte, dass das nun der traurige Teil war. Diesen Gedanken wiederholte ich immer wieder, damit es sich nicht ganz so schlimm anfühlte.
Aber es half nichts. Das tut es nie. Es tut immer weh, wenn eine geliebte Figur stirbt und eine andere allein zurückbleibt.
Trotzdem werde ich euch jetzt sagen, genau wie ich es mir immer selber sage, dass es auch wieder besser wird. Viel besser. Das verspreche ich.
Aber noch sind wir nicht so weit.
E s war einmal ein kleines Mädchen namens Gretel, das lief ganz allein eine lange, einsame Straße hinunter. Sie war das traurigste kleine Mädchen auf der ganzen Welt, denn der Mensch, den sie am meisten geliebt hatte, war tot.
Nach einer Weile kam sie in ein kleines Dorf, das im Schatten eines großen Waldes lag. Der Wald war genauso groß wie der letzte, in dem sie gewesen war, aber vollkommen anders. Der Lebenswald war licht, einladend und lebendig gewesen, dieser hier war düster, bedrohlich und tot. So bedrohlich, dass fast keiner je hineinging. Und überhaupt niemand kam je wieder heraus.
Er nannte sich Schwarzer Wald.
Aber das kleine Dorf am Rande des Schwarzen Waldes war überhaupt nicht düster. Es war umringt von Bäumen, die ihre goldene Herbsttracht trugen. Überall hörte man Lachen und es roch nach Kaminholz und Apfelwein mit Zimt.
Gretel lief die einzige Straße des Dorfes entlang, blickte in die hell erleuchten Fenster und hoffte, dass sie jemand zu Essen, Apfelwein und ein wenig menschlicher Wärme einladen würde.
Aber alle Türen blieben verschlossen. Sie fühlte sich sehr müde und sehr, sehr einsam. Sie sank zu Boden und ihre Trauer überwältigte sie. Sie begann zu weinen.
Da öffnete sich eine der Türen und eine grauhaarige Frau kam heraus. Sie ging zu dem weinenden kleinen Mädchen am Straßenrand, fragte sie nach ihrem Namen und wollte wissen, was sie ganz allein hier machte. Gretel erzählte ihr, dass sie und ihr Bruder von zu Hause ausgerissen waren und ihr Bruder vor Kurzem getötet worden war. Jetzt wisse sie nicht, wo sie hingehen sollte.
Die Frau streckte die Arme aus und Gretel vergrub ihr Gesicht an ihrer Brust. Die Frau nahm Gretel mit nach Hause, wusch sie, bürstete ihr zerzaustes Haar und gab ihr einige alte, aber saubere Kleider.
Ein paar Wochen waren vergangen. Gretel dachte nicht mehr darüber nach, an einen anderen Ort zu gehen oder etwas anderes zu tun. Denn was für einen Sinn machte es schon, irgendetwas zu tun, jetzt wo Hänsel tot war? Also lebte Gretel mit der grauhaarigen Witwe in dem kleinen Dorf.
Bald war es so, als wäre Gretel schon immer eins der Dorfkinder gewesen. Obwohl sie sehr traurig war, bemühte sie sich stets, ein tapferes Gesicht zu machen. Es war gerade Erntezeit, alle Menschen arbeiteten hart und Gretel half fleißig mit. An den klaren Herbstabenden, wenn dieLuft langsam kühl wurde, trafen sich die Dorfbewohner vor der Dorfschenke, lachten, tranken und unterhielten sich, während die Kinder um sie herumsprangen. Aber Gretel war nicht nach Spielen zumute. Sie saß lieber bei den Erwachsenen und lauschte ihren Gesprächen.
Es gab einen Erwachsenen, dem Gretel besonders gerne zuhörte. Es war ein fröhlicher und netter junger Mann. Und er sah sehr gut aus. Er hatte lange, schwarze Haare und grüne Augen, in denen goldene Funken im Licht zu tanzen schienen. Gretel bewunderte ihn, und es kam ihr so vor, als würde der junge Mann auch sie mögen. Wenn er bemerkte, dass sie ihn ansah, dann lächelte er ihr mit seinen blutroten Lippen zu, bevor sie errötend die Augen niederschlug.
So saß sie immer dicht neben ihm und bewunderte ihn für seine kleinen Scherze, sein sorgloses Lachen und seine wunderschönen Augen. Manchmal stand er vom Tisch der Erwachsenen auf und ging zu den Kindern. Er machte mit ihnen Späße, hob sie hoch, und alle, besonders die Mädchen, liebten es.
Manchmal brachte eines der Kinder dem schönen jungen Mann ein kaputtes Spielzeug. Etwa eine Porzellanpuppe, der ein Finger abgebrochen war, oder ein König aus Holz, dem der Kopf fehlte. Der schöne junge Mann holte dann aus seiner Tasche ein altes Stück Bindfaden. Er hielt das Spielzeug zwischen seinen Knien und wickelte das
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