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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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um nicht den Verstand zu verlieren.
    Mary Anne hatte die beiden anderen Pflegerinnen, Dora Elliott und Jenny Cooper, schon zu Beginn ihrer Ausbildung kennengelernt. Sie waren zwar keine engen Freundinnen geworden, kamen aber gut miteinander aus. Dora war klein, blond und lebenslustig, während Jenny ständig in Schwierigkeiten steckte.
    Als sie auf dem Hauptverbandsplatz ankamen, wurden sie von Oberschwester Price in Empfang genommen, die mehr einem Ausbildungsunteroffizier als einer Frau glich.
    «Railton, Elliott und Cooper?» fragte sie barsch. Die von einer unbequemen Fahrt verschwitzten und durchgeschüttelten Frauen blickten sich um. Auf dem flachen Gelände standen vier große Zelte und dicht daneben einige khakifarbene, glockenförmige kleinere Zelte.
    Mit knappen Worten erklärte Schwester Price, was von ihnen erwartet wurde. «Dies ist der frontnächste Hauptverbandsplatz. Sie werden Dinge sehen, die Sie noch nie zuvor gesehen haben. Die Arbeitseinsätze sind lang, und ich erwarte unbedingten Gehorsam und beste Leistungen. Sollte ich Sie bei der geringsten Unachtsamkeit ertappen, werden Sie nach Hause geschickt, und zwar innerhalb von fünf Minuten. Dieses Zelt dort drüben» - sie wies auf eins der glockenförmigen Zelte in ungefähr fünfzig Meter Entfernung -«ist Ihre Unterkunft. Sie haben fünfzehn Minuten Zeit zum Auspacken.» Sie drehte sich auf dem Absatz um und wies auf die Aufnahmestation in dem kleinsten der vier langen Zelte. «Fünfzehn Minuten.»
    «Nichts geht über ein trautes Heim», sagte Dora, als sie in dem kleinen Zelt standen mit den drei schmalen Pritschen, den drei Spinden und der Metallstange zum Aufhängen von Kleidern.
    Jenny und Mary Anne ließen ihre zerbeulten Koffer neben den Pritschen zu Boden fallen. «Nun, ich ziehe die deutschen Granaten der Oberschwester bei weitem vor.» Dora hatte ein loses Mundwerk.
    «Wir haben uns schließlich freiwillig gemeldet, um unserem Land zu dienen», sagte Mary Anne spröde.
    «Also, ich hab mich freiwillig gemeldet, um von meinen gräßlichen Eltern wegzukommen», sagte Jenny und versuchte mit wenig Erfolg, ihr Haar unter die Haube zu stopfen.    
    «Dein Haar ist wieder runtergerutscht, Jenny.» Dora ging hin, um ihr zu helfen.
    «Desgleichen mein Schlüpfer.» Jenny wandte sich um. «Und das schon mehrmals. Muß irgendwas mit dem Alterungsprozeß zu tun haben.»
    «Dann mach mir aber keine Vorwürfe, wenn die Oberschwester dich abkanzelt.»
    «Die soll sich doch selber ficken.»
    «Jenny!» rief Mary Anne schockiert.
    «Aber Railton, stell dich doch nicht so an. Wenn die alte Schachtel sich’s nicht selber besorgt, tut’s doch keiner. Frigide blöde Kuh.»
    «Unanständige Reden helfen auch nicht weiter.»
    Jenny lachte. «Railtons Gouvernante hört so was nicht gern.»
    «Railtons Gouvernante würde es gar nicht erst mitbekommen», kicherte Dora. «Und unanständige Reden helfen gewaltig, Mary Anne, sie sind eine Art Sicherheitsventil.»
    Mary Anne sagte verächtlich: «Männer führen manchmal solche Reden, aber sie wissen es nicht besser. Aber wir sind nicht nur Krankenpflegerinnen, sondern auch Damen.»
    «Also, Railton, ich bin keine Dame, nie eine gewesen. Leb du mal mit sieben Geschwistern in einem feuchten Keller in Liverpool. Und ich wette, dein Papa ist auch noch nie Sonnabend abends besoffen nach Hause gekommen und hat vor deinen eigenen Augen deine älteste Schwester vergewaltigt. Nein, Railton, wir sind keine Damen.»
    «Schwestern! Schwestern!» Oberschwester Prices schneidende Stimme durchdrang die Zeltleinwand.
    Dora sah auf die Uhr. «Wir haben noch fünf Minuten Zeit.»
    «Schwestern!»
    Noch immer verschwitzt rannten die drei aus dem Zelt. Sie kehrten erst fünfzehn Stunden später zu ihren Pritschen zurück.
    Das gesamte Pflegepersonal auf dem Hauptverbandsplatz bestand aus drei Ärzten, zwei Schwestern - Price und Beamish - und sieben Pflegerinnen. Und alle standen unter Oberschwester Prices Fuchtel. Sogar die Ärzte fürchteten und respektierten sie, denn so streng und barsch sie war, hatte sie durchaus ihre guten Seiten. Mary Anne fand schnell heraus, daß Oberschwester Price unglaublich tüchtig und sogar erstaunlich mitfühlend war.
    An diesem Morgen, als die drei Mädchen zum Aufnahmezelt liefen, hatten sie das seltsame Vorgefühl, daß ihnen ein noch unbekanntes Grauen bevorstünde.
    «Station A. Gas-Fälle. Tun Sie, was Sie können. Ich komme gleich», sagte die Oberschwester.
    Mary Anne war die erste, die

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