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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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geredet.»
    Caspar hörte der Diskussion zu und fragte sich, nicht zum ersten Mal, ob er nicht, trotz eines fehlenden Beins und Arms, der einzige ausgeglichene Railton in dieser großen Familie war. Er hatte keine Komplexe, sein Privatleben hätte nicht besser sein können, und seine Arbeit machte ihm Spaß. Aber wenn an den Gerüchten, die ihm zu Ohren gekommen waren, etwas Wahres dran war, dann saß sein Onkel Charles gewaltig in der Patsche, und sein Großvater hatte sich nicht nur in zwielichtige Intrigen verstrickt, sondern hing augenscheinlich auch neuen und gefährlichen Ideologien an. Sein eigener Vater schwankte zwischen weinerlichem Pessimismus und falscher Hochstimmung, Marie war in Berlin mit ihrem deutschen Liebhaber, James vermißt auf einer Geheimmission, und Tante Mildred schien durchzudrehen.
    Er wurde aus seinen Überlegungen durch eine Bemerkung seines Großvaters hochgeschreckt. Ob die «White Lady» - ein sehr erfolgreiches belgisches Spionagenetz - oder der «Sacre-Cceur-Ring» einen weiteren Kurier brauche? C antwortete: «Je mehr wir haben, desto besser.»
    «Dann habe ich genau die richtige Person für Sie.»
    Caspar war empört, als er begriff, daß sein Großvater seine Enkelin, Denise Grenot, Caspars Kusine, für diesen Posten vorschlug.
    «Mrs. Railton, haben diese Tagträume oder plötzlichen Erinnerungsbilder mit Ihrer Kindheit zu tun?»
    Mildred blickte über den Schreibtisch, wagte aber nicht, Dr. Harcourt in die Augen zu sehen. «Ich erinnere mich am deutlichsten an diese Bilder, nachdem ich die Medizin eingenommen habe.
    Wenn sie so wichtig sind, dann sollten Sie mir erlauben, die Medizin mit nach Hause zu nehmen, damit ich sie immer zur Hand habe.»
    Harcourt bekam einen Schreck, denn er wußte, was sich hinter Mildred Railtons Bitte verbarg. Er war ein verantwortungsbewußter, erfahrener Arzt, der sich jetzt fast täglich mit den seelischen Problemen, hervorgerufen durch die Angst, die Belastung und den Kummer, die der Krieg mit sich brachte, konfrontiert sah. Der Fall Mildred Railton faszinierte ihn, besonders nachdem ihr Mann ihm von dem Kindheitserlebnis erzählt hatte.
    Er hatte mit anderen Ärzten gesprochen und die einschlägige Fachliteratur studiert und wußte daher, daß eine Möglichkeit bestand, Mildred das verdrängte Kindheitserlebnis zu entlocken, wenn sie entspannt genug war. Und dann wäre das Trauma beseitigt und seine Patientin geheilt.
    Das Hauptproblem war die Entspannung, und deshalb hatte Harcourt ihr einige Tropfen Laudanum in Wasser aufgelöst verabreicht.
    Ihr Unterbewußtsein versuchte offensichtlich das Kindheitstrauma emporzuholen. Mildred sprach von Blättern, Moos, auf dem ;sie lag, einem jungen Burschen und gelegentlichen Schmerzen im Genitalbereich. Er wollte keinesfalls die Behandlung jetzt abbrechen, aber ihre Bitte, Laudanum mit nach Hause zu nehmen, war ein klarer Beweis ihrer Süchtigkeit.
    Sie unterhielten sich noch eine halbe Stunde. Sie war zweifellos ausgeglichener als am Anfang der Behandlung, und er wußte aus Erfahrung, daß es nicht schwierig sein würde, sie zu entwöhnen, sobald sie geheilt war.
    Also gab er ihr beim Abschied ein Rezept für eine Dosis für die zwei folgenden Tage, am Freitag würde er sie Wiedersehen.

22
    Sie verbanden James die Augen nicht und ließen ihn stehend seine letzte Zigarette rauchen. Seine Gedanken konzentrierten sich auf Margaret. Er konnte sie deutlich eine «Gigue» spielen hören. Bach, dachte er.
    Er bemerkte, daß die Soldaten verängstigt und sehr jung aussahen. Der Offizier schüttelte ihm die Hand und trat zurück. James nahm Haltung an. Aus dem Augenwinkel sah er, daß der Offizier seinen Säbel aus der Scheide zog. Er hörte den Befehl zum Anlegen. Dann erschien keuchend ein Bote, der auf den Offizier zulief. Sekunden später machte das Exekutionskommando kehrt und marschierte ab. James wurde ins Gebäude zurückgeführt.
    Man brachte ihm Kaffee. Ein Untersuchungsbeamter kam herein. James gab ihm im stillen sofort den Spitznamen «Professor». Er trug einen zerknitterten Anzug, seine Haare bedurften dringend eines Friseurs, die Nickelbrille war ihm auf die Nase gerutscht. Sein Auftrag schien ihm unangenehm zu sein.
    Der «Professor» sagte, er hieße Einster, und schüttelte ihm die Hand. Er blätterte in der dicken Akte herum, als fände er sich nicht zurecht. Zum Schluß hob er den Kopf und lächelte freundlich.
    «So, so, Sie sind James Railton. Ihre Eltern sind beide tot. Tut mir

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