Eine ehrbare Familie
Büro saß, als am nächsten Morgen Sir Roger Casement hereingeführt wurde. Es war nicht verwunderlich, daß sie den Mann ohne Bart und mit glattrasiertem Kopf nicht erkannt hatten. Aber auch so zeigte der des Landesverrats verdächtigte Mann eine Würde, die Charles tief beeindruckte.
Thomson, obwohl kühl, war ausgesucht höflich. Casement beachtete ihn kaum, setzte sich und starrte den Stenographen feindlich an.
Basil Thomson nannte seinen Namen, dann stellte er Charles vor. «Mr. Rathbone, einer unserer Mitarbeiter.» Casement starrte weiterhin den Stenographen an.
«Sie sind Sir Roger Casement?» begann Thomson.
Casement blickte in eine andere Richtung.
«In den frühen Morgenstunden am vergangenen Freitag, den 14. April, wurden Sie in einem Schlauchboot von einem feindlichen U-Boot aus in Irland an Land gesetzt. Stimmt das?»
Casement betrachtete seine Hände.
«Sir Roger, Ihre Gefährten in diesem törichten, aber gefährlichen Unternehmen sind bereits verhaftet. Sie haben eine Menge ausgesagt. Meine Anklage lautet, daß Sie mit dem Feind zusammengearbeitet haben, daß Sie aktiv daran beteiligt waren, Waffen und Munition zu beschaffen, um eine Rebellion zu entfachen, daß Sie gegen die Krone konspiriert und britische Kriegsgefangene dazu überredet haben, gegen ihr eigenes Land zu kämpfen. Dies, Sir Roger, ist Hochverrat.»
Casement hob den Kopf und sprach zum ersten Mal. «Ich bin gern bereit, mit Ihnen zu sprechen, Kommandeur Thomson, aber ich werde kein Wort sagen, solange dieser Stenograph dabeisitzt.»
Thomson zögerte eine Sekunde lang, dann nickte er dem Stenographen zu, der daraufhin das Zimmer verließ. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, begann Casement zu reden.
«Ich will Ihre Zeit nicht vergeuden, Sir. Natürlich werden Sie Anklage gegen mich erheben, und ich werde jeden Punkt widerlegen. Mein Hauptanliegen in diesem Moment ist, einen Irrtum öffentlich richtigzustellen, und zwar schnell, bevor Blut fließt. Gewiß bin ich nach Irland zurückgekehrt, es ist mein Zuhause. Doch ich kam mit einem bestimmten Ziel. Ich bin gekommen, um die Rebellion zu unterbinden, nicht um sie anzuführen. Ich flehe Sie an, im Namen Gottes, erlauben Sie mir, eine öffentliche Erklärung abzugeben, lassen Sie mich mit den irischen Zeitungsleuten reden. Das irische Volk muß von meiner Inhaftierung und von den wahren Gründen meiner Rückkehr nach Irland in Kenntnis gesetzt werden.»
Thomson sagte ruhig, daß es nicht im Bereich seiner Macht läge, Sir Rogers Bitte stattzugeben. Er würde aber mit jemand sprechen, der eine solche Entscheidung treffen könnte.
«Dann sprechen Sie sofort mit ihm, bevor es zu spät ist.»
«Sie glauben doch nicht im Ernst, daß die Rebellen jetzt etwas unternehmen werden? Denn die Waffenlieferung wurde versenkt.»
«Ich halte dies für sehr möglich, es sei denn, sie erfahren, warum ich nach Irland zurückgekehrt bin.»
Casement wirkte aufgeregt und besorgt.
«Ich werde sehen, was ich tun kann», sagte Thomson, stand auf und verließ das Zimmer.
Charles nahm drei Anläufe, mit dem Gefangenen eine Unterhaltung anzufangen, aber ohne Erfolg.
Nach zehn Minuten kam Basil Thomson zurück. Als er sprach, klang seine Stimme ernst. «Es tut mir leid, aber Ihre Bitte ist abgelehnt worden. Ihre Verhaftung wird weiterhin geheimgehalten, und Sie dürfen keine Erklärung an die Presse abgeben.»
Casement stieß einen tiefen Seufzer aus. «Die Schuld liegt jetzt bei Ihnen. Ich werde einem Gerichtshof Rede und Antwort stehen, aber niemand anderem.»
«Warum?» fragte Charles, als er mit Thomson allein war.
«Warum was?»
«Sie sind vermutlich zu Hall gegangen, um die Erlaubnis zu holen. Warum wurde sie verweigert?»
Thomson schien einige Minuten nachzudenken, dann sagte er: «Vermutlich hofft Hall so wie ich auf das Unmögliche, nämlich, daß sie irrwitzig genug sein werden, doch irgendeine Art Aufstand zu probieren. Ich habe den Eindruck, daß Hall keinesfalls will, daß jemand, und ganz bestimmt nicht Casement, das Ganze abbläst. Auch ich wünsche aus ganzem Herzen, daß sie einen Versuch machen, denn dann können wir den Aufstand mit aller Härte niederschlagen. Die irische Laus würde ein für allemal zerquetscht und zertreten. Es wird eine Lektion sein, die die Iren niemals vergessen werden.»
Und genau das geschah. Es begann am folgenden Tag, sehr zum Erstaunen der meisten Menschen.
Am Ostermontag besetzten die Rebellen ohne nennenswerte Unterstützung des
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