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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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leicht Eingang fand, denn er hat ein Kind, das der Willkür des Feindes preisgegeben ist. Seit langem bin ich des Glaubens, daß Aufstand in die Welt kommen muß. Ein neues Königreich wird erstehen, und es wird schneller kommen können durch einen Sieg gegen uns. Ein großer Aufruhr wird kommen aus dem Osten. Möge Gott dieses neue Königreich des Volkes retten und mir meine Sünden vergeben. Sollte der Bruder des Johannes dies vor den anderen lesen, bitte ich ihn, zu schweigen um Marias, Jakobs und seines eigenen Kindes willen. Er soll schweigen bis ins Grab. Blut benetzt meine Hände. Ich wand ein weißes Tuch um den Hals einer Frau.»
    Damit war alles gesagt. Die Familie saß schweigend und wie betäubt da, als Andrew nach dem Abendessen am Weihnachtstag seine Lektüre beendet hatte.
    Sie kannten nun alle die ganze Geschichte von Giles’ politischem Umschwung am Abend seines Lebens, von seinem Übertritt zu einem neuen ideologischen Glauben, den man Kommunismus nennt. Nur seine Beweggründe kannten sie nicht.
    Sie wußten nun, wie er die Torheiten und Fehltritte von Charles zu seinem Vorteil benutzt hatte und wie es ihm gelungen war, sich mit dem Feind zu einigen, indem er ihm - vielleicht nur unwichtige - Informationen über deren Mittelsmann, den «Fischer», zukommen ließ. Er hatte Charles geopfert, um Marie und James das Leben zu retten.
    Und er hatte Hanna Haas getötet.
    Giles Railton hatte an die Unabwendbarkeit einer sozialen Neuordnung geglaubt - und zwar je eher, desto besser. Sein Glaube war so stark gewesen, daß er selbst in Aktion getreten war. Er hatte Verrat begangen, um den Deutschen zum Sieg zu verhelfen und damit die Revolution zu fördern. Niemand wußte, wann ihm diese politische Vision zum ersten Mal gekommen war, aber alle wußten, daß er die Vision in Taten umgesetzt hatte.
    Die dechiffrierte Enthüllung wird laut der Familienlegende in einer Stahlkassette in Redhill aufbewahrt, zusammen mit der Bibel und dem Buchzeichen, das den Code enthält.
    Jenes Weihnachten 1918, das ein Freudenfest hätte sein sollen mit den zurückgekehrten Kriegern und der zunehmenden Kinderschar, war statt dessen wohl zum düstersten seit Kriegsbeginn geworden.
    Die Familie trauerte nicht nur um Charles und Giles, sondern war auch völlig außer sich über die Tatsachen, die nach Andrews Lesung von «Giles’ Enthüllungen» - ein Ausdruck, der sich erst später einbürgerte - zutage getreten waren. Der Verrat, die schnöde Ausnutzung von Charles’ Schwäche und Torheit und die Doppelzüngigkeit waren schon schlimm genug, aber am schwersten fiel ihnen zu akzeptieren, daß diese Säule der Ehrbarkeit, dieser große Mann des Geheimdienstes, einer Ideologie anheimgefallen war, die sie alle von ganzem Herzen verabscheuten.
    Die Männer diskutierten stundenlang über Giles’ Motive, besonders Caspar, James und Dick Farthing versuchten, rationale Erklärungen dafür zu finden.
    «Die Vexierfrage ist», sagte James, «warum hat er den Deutschen Informationen geliefert, um Marie, mich und Charles’ Kind zu beschützen, wo er doch so erpicht auf soziale Umwälzungen durch Unruhen war?»
    «Das ist leicht zu erklären.» Caspar schien über die augenblickliche Situation, die Kämpfe, die in Rußland und den angrenzenden Ländern noch im Gange waren, genau informiert zu sein. «Wir waren alle seine Schüler, nicht wahr? Jeder einzelne von uns. Wir waren Marionetten, und er war der Meister. Die ganze Familie tanzte, wenn er an den Fäden zog.»
    «Außer Sara», fiel Dick ein. «Ich weiß nicht, ob auch ich von ihm gegängelt worden bin - vermutlich. Aber er hat uns schnöde an die Deutschen verkauft, Caspar, um die Revolution zu fördern.»
    «Ich vermute», sagte Caspar, der Giles’ Puzzlespiel fast zusammengesetzt hatte, «daß der nicht nur ein Verbindungsmann war, der Nachrichten weitergab, sondern auch eine Bedrohung, falls der alte Mann nicht mehr parierte.»
    Zum Schluß mußten alle zugeben, daß die Tatsachen akzeptiert werden mußten, was auch immer die Gründe dafür gewesen waren. James glaubte, der alte Mann habe am Abend seines Lebens möglicherweise Schuldgefühle entwickelt. Vielleicht hatte er gefunden, daß es zu viele Menschen wie ihn gab, die reich, mächtig und privilegiert geboren waren. Die verschlungenen Korridore der Macht waren voll von Leuten seiner Herkunft, die durch gute Erziehung, Geld und Beziehungen Karriere gemacht hatten.
    «Ich glaube, er begriff, daß die Dinge so nicht

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