Eine ehrbare Familie
Arbeitszimmer des Generals im Herrenhaus von Redhill.
Johns Beerdigung hatte eine Woche nach seinem Tod stattgefunden. Und nun war Giles nach Redhill zurückgekehrt, um eine ernsthafte Unterhaltung mit Sara zu führen, denn das Testament ihres Mannes hatte die Familie in eine Krise gestürzt. John hatte mit allen Traditionen gebrochen.
Er hatte alles, was er besaß, «seiner geliebten Frau Sara» hinterlassen. Die Bestimmungen des Testaments waren unmißverständlich und nicht anfechtbar. John hatte Sara als eine Railton betrachtet und auch für den Fall ihrer Wiederverheiratung keine einschränkende Klausel eingefügt. Sie konnte also jederzeit durch Heirat ihren Namen ändern, was bedeuten würde, daß der gesamte Besitz der Railtons der Kontrolle der Familie entzogen war.
An diesen Tatsachen war nicht zu rütteln. Auch der Vorschlag-und Giles machte ihn gegen seine innere Überzeugung -, daß Malcolm die Verwaltung des Guts übernehmen solle, stieß bei Sara auf taube Ohren. «Obwohl mir nichts ferner liegt, als den echten Railtons den Besitz der Familie vorzuenthalten.»
Sara sah blaß und abgespannt aus. Die Unterhaltung mit Giles war nicht leicht für sie. «Du hast mir eben erklärt, daß ein Krieg kurz bevorsteht, Onkel Giles. Und wenn dem so ist, werden die Männer eingezogen, und dann ist es das beste, wenn ich hier bleibe und die Leitung des Guts behalte - wenigstens vorläufig.»
Sie hatte sich sehr über Giles’ Andeutung, daß bei ihrer Wiederverheiratung große Schwierigkeiten entstünden, geärgert. «John ist kaum unter der Erde, ich finde das alles äußerst taktlos, Onkel Giles...»
«Bitte, Sara, nenn mich Giles...»
«Nein. Wie kannst du mir unterstellen, daß ich an eine neue Heirat denke?»
Er versuchte, sie zu unterbrechen, aber sie sprach ungerührt weiter. «Sollte ich irgendwann einmal später beschließen, eine neue Ehe einzugehen, dann werde ich mich mit der Familie und den Rechtsanwälten beraten. Aber so wie die Dinge liegen, mache ich hier weiter. Bitte, laß mich in Ruhe, ich werde mich im Interesse von uns allen um das Gut kümmern.»
Giles sah ein, daß es keinen Sinn hatte, weiter mit ihr zu diskutieren. Er gab verstimmt nach.
Beim Abendessen beobachtete er Sara mit erneutem Interesse. Die Tatsache, daß sie ein Mitglied der Railton-Familie war, schien ihr eine unerwartete Autorität verliehen zu haben. Nur wenige junge Frauen hätten sich dazu entschlossen, einen großen Besitz zu verwalten, der wie eine Familienfirma geführt wurde.
Sie sprachen jetzt über die Familie. Giles erkundigte sich nach James, den er nur kurz bei der Beerdigung gesehen hatte.
«Natürlich ist er traurig. Andererseits ist er unendlich glücklich mit Margaret.» Sara lächelte. «Was er allerdings beruflich tut, ist mir schleierhaft. Er scheint viel Zeit in London zu verbringen und fährt häufig ins Ausland.»
«Ach wirklich?» Giles’ Augen verrieten nichts. Er wußte genau, was James trieb. «Ins Ausland? Ja, doch, ich erinnere mich vage, daß mir jemand erzählt hat, er sei vor einigen Wochen auf Reisen gewesen.»
Sara bemerkte erst jetzt, als Giles die Augenbrauen hochzog, wie grau sie geworden waren. «Er war einen ganzen Monat lang in Deutschland. Was hat ein Armeeoffizier auf der Kieler Regatta zu suchen, Giles?»
«Seine Kollegen kennenzulernen.» Giles brauchte nicht einmal direkt zu lügen. James war als militärischer Beobachter dort gewesen. «Die Delegation in Kiel war etwas Besonderes. Sogar Churchill war dort...»
«Und die Hälfte aller höheren Offiziere der Marine. Andrew schien ziemlich verstimmt, daß man ihn nicht aufgefordert hat.»
«Andrew ist schließlich nur Fregatten-Kapitän, kein sehr hoher Rang. Obwohl mir dieses ganze Kieler Unternehmen nicht ganz verständlich ist. Entweder ist Churchill sehr naiv oder ränkevoller als üblich.» Giles lächelte leicht spöttisch. «Churchill hat die seltsame Idee, durch einen offenen Informationsaustausch mit den Deutschen ließe sich die Spionagemanie stoppen.»
Er nahm einen Schluck des ausgezeichneten Pouilly Fume, den Sara zur Forelle servieren ließ, bevor er fortfuhr: «Das kann jetzt auch nicht mehr viel nützen.»
«Hältst du die Lage wirklich für so ernst?»
«Ja, alles Vertrauen schwindet dahin. Ich habe der deutschen Marine nie über den Weg getraut, aber der Einsatzfähigkeit unserer Flotte noch viel weniger.»
«Besonders, seit du einen Enkel dabei hast!»
Sara, dachte Giles, neigte nicht zur Ironie,
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