Eine ehrbare Familie
Der deutsche Geheimdienstchef hatte keine Ahnung, daß einer von Steinhauers Leuten das Schlachtschiff versenkt hatte. Die Briten erklärten in der Öffentlichkeit, die Explosion sei ein Unfall gewesen, aber MO5 und die Geheimpolizei leiteten Untersuchungen ein, die jedoch zu nichts führten.
Kent, Ohio, USA.
28. Oktober 1914
Geliebte Sara,
Verzeihen Sie diese intime Anrede, aber sie entspricht meinen Gefühlen, die ich nicht verleugnen will oder kann. Gott allein weiß, wann dieser Brief Sie erreichen wird, denn ich höre, daß die Post zwischen unseren beiden Ländern eine Ewigkeit dauert. Wie Sie sehen, bin ich in Ohio, ich wohne bei meinem Bruder Joe, der auf Urlaub von der Armee ist. Nächste Woche muß er wieder seinen Dienst antreten, aber er kommt zu Weihnachten nach Washington, wo wir das Fest mit den «alten Herrschaften» feiern werden. Vater und Mutter hassen diesen Ausdruck, daher necken wir sie damit.
Der Brief war erst heute, am 7. Dezember, angekommen und mußte sich mit Saras kurzem, aufgeregtem Bericht über Caspar und Rupert gekreuzt haben. Dick schrieb anschließend über die herbstliche Landschaft und daß er mehrere Testflüge unternehme, seinem Onkel Bradley, dem Colonel in der US-Armee, zu Gefallen. Er fügte auch hinzu, wie sehr er sich nach Sara sehne und daß er Redhill vermisse. Dann fuhr er fort:
Washington war trübselig. Aber ich muß aufpassen, was ich schreibe. Präsident Wilson ist ein merkwürdig widersprüchlicher Mann. Eigentlich ist er mehr ein Schulmeister als ein Präsident, aber er ist sehr zugänglich. Er hat zwei Hauptziele: Amerika aus diesem Krieg herauszuhalten und Frieden in Europa zu stiften. Obwohl ich sicher bin, daß er keine Ahnung hat, wie er das fertigbringen kann.
Meine große «Vaterlandspflicht» scheint mir eine Art Farce und ganz unmöglich, weil sie gewissermaßen mit Ihrer Familie zu tun hat. Ich weiß, Sie werden die Rätsel entwirren.
Als ich in Washington ankam, stellte mich mein Vater einem Armeeoffizier vor, einem Captain Ralph Van Deman. Van Deman wünschte eine Privatunterhaltung mit mir, bei der sich herausstellte, daß er alles über «die andere Seite des Monds» wußte. Sie erinnern sich, wir sprachen in Redhill darüber. Die Stabsoffiziere halten nichts von dem Captain und seinen Ideen, aber er ist hartnäckig und wird sich durchsetzen. Meinen Vater jedenfalls hat er bereits von seinen Ideen überzeugt, und wir beide sprachen mit dem Präsidenten, der sagte, er könne zur Zeit offiziell nicht Stellung nehmen.
Und hier kommt nun, was mich persönlich betrifft. Irgendwoher wissen alle, daß ich mit den Railtons befreundet bin. Mir wurde vorgeschlagen, nach England zu fahren, um meine Freundschaft mit den R’s zu vertiefen und sie auszuhorchen. Ich habe gesagt, ich dächte nicht daran, eine persönliche Freundschaft auszunutzen, um Informationen zu bekommen. Der Präsident ließ sich nichts anmerken, aber ich bin sicher, er verstand mich.
Als ich das letzte Mal Redhill verließ, wollte ich schon nach wenigen Stunden zurückkehren, um Ihnen noch einmal zu sagen, was ich für Sie empfinde. Sie sind immer in meinen Gedanken anwesend. Es gibt so viele Dinge, die ich mit Ihnen teilen möchte, Sara. Ich werde so bald wie irgend möglich zu Ihnen zurückkehren, und dann werde ich Sie bitten, meine Frau zu werden. Liebste Sara, verzeihen Sie meine Offenheit. Grüßen Sie alle, und schreiben Sie mir. Und warten Sie auf mich! Ich brauche Sie.
Für immer der Ihre, Dick
Sara legte den Brief beiseite, ihre Augen waren feucht. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch im Arbeitszimmer des Generals und blickte in den Garten. Die Bäume waren jetzt kahl, und ein feiner Nieselregen fiel. Bald würde es schneien.
Die Regentropfen waren die Tränen Gottes, dachte sie. Tränen über die jungen Männer in Frankreich. Der Krieg schien einen toten Punkt erreicht zu haben. Beide Seiten gruben sich ein, die Schützengräben reichten fast vom Kanal bis an die Schweizer Grenze. Dieser Zustand würde, so hatte man ihr gesagt, bis zum Frühjahr andauern. Und falls Dick nach England käme, bevor der Krieg zu Ende war, konnte sie ihn nicht heiraten. Natürlich liebte sie ihn, sie begehrte und brauchte ihn, aber nach dem Schrecklichen, was Caspar und Rupert zugestoßen war, hatte,sie sich geschworen, daß kein Mann ihr Bett teilen oder sie zum Altar führen dürfe, bevor dieses Gemetzel nicht beendet war. Sie hatte gesehen, wie Charlotte frühzeitig ergraut und wie
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