Eine ehrbare Familie
hätten, darüber nachzudenken und sich notfalls mit ihren Ehemännern zu besprechen.
Als das Taxi durch die geschäftigen Straßen fuhr, verstand Sara mehr denn je, warum Bob Berry sich nicht anders hatte entscheiden können. Von allen Hauswänden forderten die Plakate die jungen Männer zum Dienst fürs Vaterland auf. «England erwartet, daß jeder Mann seine Pflicht erfüllt! Kein Preis ist zu hoch, wenn Ehre und Freiheit auf dem Spiel stehen. Dein Land braucht dich!»
Als sie den Taxichauffeur zahlte, sah Sara Charles. Sie wollte ihm gerade zuwinken, bemerkte aber noch rechtzeitig, daß er nicht allein war. An seinem Arm hing eine junge, hübsche Blondine, die anhimmelnd zu ihm aufblickte, als er ein Taxi herbeiwinkte.
Sara suchte längere Zeit nach dem Wechselgeld, dann ging sie langsam Ins Hotel. Sie wußte nicht recht, wie sie Mildred begrüßen oder was sie zu ihr sagen sollte.
16
«Vernon, es tut mir leid, ich habe die größte Sünde in Ihren Augen begangen», sagte Charles Railton zu Vernon Kell in dessen Büro.
Am selben Morgen hatte in der Admiralität eine kurze Zeremonie stattgefunden. Lord Kitchener hatte einen Orden an Charles’ Aufschlag geheftet, und Winston Churchill hatte ihm die Hand geschüttelt und sich für den großen Dienst bedankt, den Charles ihm und Clementine erwiesen hatte.
Der Orden war dann wieder entfernt worden, und man hatte ihm gesagt, daß er nichts über die Auszeichnung verlauten lassen dürfe - «nicht bevor dieser Krieg beendet ist».
Gleich nach der Zeremonie bat Giles seinen Neffen, ihm in sein Büro zu folgen, wo er ohne Umschweife seine Frage stellte: «Du hast also die Information erhalten, daß Marie von Klaus von Hirsch nach Deutschland gelockt wurde?» Die Augen von Giles Railton waren völlig ausdruckslos. «Bitte behalte das für dich, Charles. Aber wir werden aufgrund dieser Information etwas unternehmen müssen. Ich will nicht, daß die Sache auf uns zurückfällt.»
Charles verstand seinen Onkel augenblicklich und sagte: «Du willst meine Informationsquelle persönlich verhören?»
Giles lächelte. «Ja, ich würde mit deiner Informationsquelle gern direkt sprechen.» Sein Lächeln verschwand. «Ich hoffe, du weißt es zu schätzen, daß ich mich an dich wende, statt direkt zu deinem Vorgesetzten zu gehen.»
Charles wußte, es war jetzt an der Zeit, zumindest halbwegs aufrichtig zu sein. Giles hatte offensichtlich bereits Verdacht geschöpft.
«Gibt es irgendwelche Probleme?» Giles zog die Augenbrauen hoch.
«Ich bin nicht ganz sicher. Meine Informationsquelle ist voll im Einsatz.» Charles wandte sich dem Fenster zu. Es war die erste Woche im Dezember, und die Straßen waren trotz des Kriegs voller Menschen. Nach einer Pause sagte Charles: «Ich muß dir etwas beichten.»
«Beichten?»
Charles lächelte seinen ausdruckslosen Onkel an. «Die Information, die ich dir zukommen ließ, schien mir mehr eine Familienangelegenheit ...»
Giles starrte ihn entsetzt an.
«Vermutlich war es falsch von mir, aber ich habe die Sache nicht in meinem Bericht an Vernon Kell erwähnt.»
«Du bist ein Idiot, Charles.» Es war ohne Bosheit gesagt. «Es ist keine Familienangelegenheit...»
«Es betrifft meine Kusine Marie,deine Tochter.Die ganze Sache betrifft uns alle. Ich fand, du solltest Bescheid wissen. Marie ist in Berlin, also im Ausland. Das hat mit meiner Abteilung nichts zu tun.»
«Aber die Informationsquelle steht unter deiner Aufsicht, Charles. Du hättest Kell unterrichten müssen. Gebrauch deinen Verstand, Menschenskind. ,Für deine Dienststelle ist diese Nachricht Gold wert. Ich rate dir dringend, Kell zu informieren, bevor ich zu ihm gehe mit der Bitte, mir das Paßwort zu seiner Zauberhöhle zu verraten.»
Gleich nach dem Essen ging Charles also zu Kell, um ihm seine gekürzte Version zu erzählen.
«Das Drew-Verhör...» begann er.
«Ja, was ist damit?» Kell klang freundlich, doch reserviert, was verständlich war, denn Madeline Drew fing an, einige interessante Tatsachen zu liefern.
«Während des Verhörs kam etwas zur Sprache, was meine Familie betrifft.»
«Ah, ja?»
«Sie wissen es vermutlich schon, obwohl niemand in der Familie darüber spricht. Meine Kusine...»
«Marie Grenot? Ja, die meisten Leute, die davon gehört haben, bedauern es sehr. Hat Drew Marie Grenot erwähnt?»
Charles berichtete alles, außer seinem eigenen unkorrekten Verhalten Madeline gegenüber.
Als er geendet hatte, fügte Charles hinzu, er hoffe, Kell
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