Eine ehrbare Familie
uns immer gut verstanden seit Ihrem Sturz an der Hecke vor vielen Jahren. Ich bitte Sie inständig, meine Handlungsweise zu verstehen und Rachel die Neuigkeit möglichst schonend beizubringen.
Robert Berry
Sara faltete den Bogen zusammen und legte ihn auf den Schreibtisch. Langsam schwand ihr Ärger. Sie ergriff Rachels Hand und sagte: «Meine Liebe...» Dann wußte sie nicht, wie sie fortfahren sollte. Sie wiederholte: «Meine Liebe, ich fürchte, ich habe eine sehr schlechte Nachricht für Sie.»
Sie sah in Rachels Augen, daß die junge Frau die Wahrheit erriet. Das rotbäckige Gesicht wurde schneeweiß. «O mein Gott... Miss Sara... es tut mir so leid. Er hat’s getan, nicht wahr? Die dumme Nuß ist zu den Soldaten gegangen?»
«Ja, Rachel, so ist es.» Sara war auf Tränen, Händeringen, Hysterie vorbereitet gewesen, statt dessen sah sie eine hübsche, fauchende Teufelin vor sich, die jetzt rotglühend vor Zorn hochsprang. Sara durchfuhr der nicht ganz fernliegende Gedanke, daß Berry vielleicht nicht nur aus reiner Vaterlandsliebe zu den Fahnen geeilt war.
«Und was wird aus mir, Miss Sara? Wie soll ich mich und die Kinder ernähren, wenn Bob zu den Soldaten gegangen ist? Ich hätte nie gedacht, daß er uns das antut...» Eine gewisse Verschlagenheit kroch in ihren Blick. «Vielleicht nehmen sie ihn nicht, ich meine, wenn Sie mit Ihren Beziehungen ein Wort einlegen würden -» «Nein.» Sara unterbrach sie mit harter Stimme. «Ich werde bei niemand ein Wort einlegen. Und sie werden ihn nehmen. Lord Kitchener braucht mehr und mehr Freiwillige. Und es gab einen speziellen Aufruf für verheiratete Männer. Sie wissen, er will für sein Land kämpfen und für Sie, für Ihre Kinder, für uns alle. Ich habe mich geweigert, ihn freizugeben, aber er hat seinen Entschluß gefaßt. Vielleicht war es der Richtige. In der Zwischenzeit, Rachel, werde ich Ihnen helfen, die Bauernhöfe zu verwalten. Sie sind jetzt die Gutsaufseherin und werden es bleiben, bis Bob zurückkommt. Auch Sie haben der Railton-Familie gegenüber eine Verpflichtung. Morgen fahre ich nach London und werde mir Rat holen. Und wenn ich zurückkomme, werden wir uns gemeinsam an die Arbeit machen. Wenn die Männer den Mumm haben, die Deutschen in Frankreich zu bekämpfen, müssen die Frauen zeigen, daß sie auch aus hartem Holz geschnitzt sind.»
Rachel starrte sie mit offenem Mund an. «Sie meinen, ich soll das Gut bewirtschaften, die Bücher führen, in aller Herrgottsfrüh auf den Beinen sein und dazu noch meine Kinder versorgen?»
«Genau das meine ich. Wir werden Ihnen eine Hilfe für die Kinder beschaffen. Sie werden das gleiche Gehalt wie Bob verdienen. Und dafür werden Sie mich unterstützen. Aber auch andere Frauen werden uns zur Hand gehen.»
Saras monatliche Reise nach London war mühselig, aber auch unterhaltsam. John Railton hatte in seinem Testament bestimmt, daß sie einmal im Monat persönlich der Railton-Familienanwaltsfirma King, Jackson und King Bericht erstatten mußte. Der alte Mister King war gestorben, und sein Sohn Jonathan, ein dünner, geistloser junger Mann, der öfters lange Schweigepausen einschaltete, empfing nun an seines Vaters Stelle Sara jeden Monat in seinem Büro in Gray’s Inn.
Der junge Mr. King behandelte Sara mit größter Zuvorkommenheit, aber gab ihr deutlich zu verstehen, daß er diese Zusammentreffen als reine Routine ansah und sie daher so kurz wie möglich zu halten gedächte.
Sara verließ sein Büro fast immer kurz vor zwölf Uhr mittags, verbrachte den Rest des Tages mit Einkäufen und genoß alle Vorteile, die die Stadt zu bieten hatte, die sie einstmals so ungern verlassen hatte.
Bei diesem Besuch hatte sie sich bei Charlotte und Mildred angesagt, denn Bob Berrys patriotische Anwandlung hatte sie auf die Idee gebracht, die anderen Railton-Frauen für die Verwaltung des Guts einzuspannen. Während sie im Taxi saß auf dem Weg von Gray’s Inn zum Hotel Carlton, dachte Sara noch einmal über ihren Plan nach. Sie würde zu Charlotte und Mildred sagen, daß die Railton-Frauen gebraucht würden, um den geliebten Familienbesitz in Ordnung zu halten, da die Männer im Krieg seien. Sie würde vorschlagen, daß jede von ihnen eine Woche im Monat in Redhill verbringen sollte, um sie bei der Planung und der Verwaltung des Besitzes zu unterstützen, und hatte bei sich beschlossen, daß es am günstigsten sei, ihr Vorhaben schon vor Weihnachten zur Sprache zu bringen, weil die beiden Frauen dann Zeit
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