Eine eigene Frau
Flugapparat dank der Kraft eines Motors von 30 Pferdestärken mit 100 Stundenkilometern durch die Luft zu sausen. Womöglich glaubt er sogar, eines Tages bis Halikko zu fliegen und von oben den ameisengroßen Sägewerkmalochern zuzuwinken, auch seinem ehemaligen besten Kameraden Sakari als einem von ihnen.
Sakari krampft sich der Magen zusammen. Er schaut zu den Schönwetterwolken hinauf. Kein Tammisto zu sehen. Auch Bruder Viki schwenkt dort oben nicht vom Luftschiff der Gebrüder Wright aus die amerikanische Flagge. Aber Joel ist noch nicht aufgegangen, dass man nur hinter die Wolken gelangt, wenn man den Weg nimmt, den Seelia und Hilma gegangen sind.
»Hat Pranken so groß wie die Arschbacken von meiner Alten, aber nichts hält er fest.«
Rinne kann den neuen Mann einfach nicht in Ruhe lassen. Wird der Quälgeist denn nie müde?
Sakari überholt Santaharju, nimmt eine Ladung Bretter auf den Rücken und reiht sich ein. Rinne merkt, dass auch von ihm mehr als eine dicke Lippe erwartet wird. Er nimmt sich eine Ladung und folgt. Vor dem Stapel bleibt Sakari stehen, wie in Gedanken versunken. Er dreht sich um, schaut aufs Meer, stellt sich vor, was es für ein Gefühl ist, wenn man mit dem Fischspeer einen ordentlichen Hecht erwischt.
In der Halikko-Bucht sind sie groß. Weiß Rinne das?
Beim Fischen in der Nacht herrscht eine ganz eigene Stimmung, es ist schön anzusehen, wie sich die Lichter auf dem Wasser bewegen und die Raubfische darunter ihre großen Kiefer aufsperren.
Hab ich je erzählt, wie Joel Tammisto und ich einen Fünf-Kilo-Kaventsmann gleich da drüben aus dem Schilf geholt haben? Was glaubst du, wie der auf das Wasser gepeitscht hat, beim Rausziehen, obwohl ihn die Zinken vom Speer durchbohrt hatten.
Rinne hört zu und nickt, seufzt unbemerkt unter seiner Last. Was zum Teufel soll das jetzt bedeuten? Niemand wird nostalgisch, wenn er 100 Kilo auf dem Rücken trägt. Tatsächlich tut es auch Sakari weh, es tut ihm höllisch weh, er hat das Gefühl, als würde es ihm unter der Last jeden Moment die Schulter zerreißen, aber er hat beschlossen, dass mit dem Herumhacken auf einem Kollegen Schluss sein muss.
»Ein Hecht von fünf Kilo aus der Halikko-Bucht. Nicht schlecht, was?«
Sakari erzählt, er habe seinem Sohn am Morgen versprochen, nach der Arbeit mit ihm angeln zu gehen. Werde also nichts mit einem Nickerchen. Aber Viki warte so sehr darauf, endlich mal wieder mit dem Vater Barsche für die Suppe fangen zu dürfen. Und warum auch nicht. Es ist windstill, auch der Abend scheint mild zu werden.
Der Kerbel, der zwischen den Bretterstapeln wächst, zieht Schwärme von Mücken an. Die stürzen sich jetzt auf die beiden schwitzenden Männer, doch Sakari stört sich nicht daran. Er brüstet sich oft mit seiner dicken Haut, der kein Insekt was anhaben kann.
»Wenn man einem Kind etwas verspricht, muss man es auch halten. So lernt der Junge, was ›ein Mann, ein Wort‹ bedeutet.«
Nun kann Rinne nicht mehr stehen, er muss absetzen, da hilft nichts, tausendfach peinlich, ein für alle Mal.
»Mensch, das war jetzt mein Fehler, was träum ich hier auch vom Angeln im letzten Sommer und erteile Erziehungsratschläge, wo doch ein Haufen Arbeit wartet!«, sagt Sakari und stapelt beide Lasten auf, als wäre es nichts.
Man darf wohl ziemlich sicher sein, dass Rinne anschließend keinen mehr geärgert hat.
Sakari, 30
Tampere, September 1914
Nachdem er sich so weit erholt hat, dass allmählich die Kraft in die Hände zurückkehrt, verlangt Joel, sämtliche alten Ausgaben der Volkszeitung und des Arbeiters lesen zu dürfen, die er wegen seiner Krankheit hat auslassen müssen. Sakari hat den größten Teil als Abortpapier verwendet, doch gelingt es ihm, sich im Haus der Arbeiterschaft einen dicken Packen auszuborgen.
Ob Sakari wisse, dass er am selben Tag nach Tampere gekommen sei, an dem man Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen habe?
Sakari kämpft, um den Herd in der Küche zum Ziehen zu bringen.
»So? Dann kann man mich jedenfalls deswegen nicht verdächtigen.«
Joel schmunzelt und blättert weiter in der Zeitung. Das muss man sich vorstellen: Während er hier gelegen hat, ist die Welt in Flammen aufgegangen. Serbische Offiziere haben in der Hauptstadt Bosniens den österreichischen Thronfolger ermordet, weshalb Österreich Serbien angegriffen und Russland die Mobilmachung verkündet hat. Darauf reagierte Deutschland, indem es Russland den Krieg erklärte, und England wurde darüber so
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