Eine eigene Frau
Kreuz, marschiert die dritte Reihe hinunter, schwenkt den Kopf. Wohin des Wegs, mitten am Arbeitstag?
Ohne eine Miene zu verziehen, erklärt Lauri, seine Schwester Hilma sei gestorben und er müsse ihren Jungen bei Joel in Tampere abholen. Oma Lindroos wird sich nun um das Kind kümmern.
»Hilma ist gestorben?«
»Ja, an der Schwindsucht anscheinend.«
Lauri versucht auf Mann zu machen und so zu tun, als wäre nichts Außergewöhnliches passiert. Ja, ja, unschöne Sache. Darum muss der Onkel jetzt den kleinen Taisto holen gehen, Taisto zwei, weil sonst keiner Zeit hat. Obwohl er, wie es aussieht, eigentlich auch keine Zeit hätte. Verstohlen deutet Lauri auf den neuen Mann.
Sakari weiß nicht, was er sagen soll. Jetzt ist also auch Joel Witwer geworden. Dabei war Hilma so ein lebendiges Mädchen. Allerdings weiß Sakari nur zu gut, wie die teuflische Krankheit alle Freude und Heiterkeit aus einem Menschen saugen kann. Und ein so junger Onkel muss jetzt das Kindermädchen machen. Sicher ist er deswegen ziemlich aufgeregt. Wieso schicken sie ihn denn auf die Reise? Einen Dreizehnjährigen. Versteht er überhaupt etwas davon, wie man ein kleines Kind versorgt?
Klar ist, dass Joel das Kind nicht behalten kann. Wer soll sich in Tampere darum kümmern, wenn sein Vater arbeitet? Ist schon ein freudloses Leben für einen Mann, so ganz allein.
»Richte dem Tammisto Grüße aus! Und mein tiefes Beileid.«
Lauri nickt, sagt aber, er wisse nicht, ob er ihn überhaupt zu Gesicht bekommen werde. Er scheine auch im Lazarett zu liegen. Jedenfalls soll er sehr krank sein, wie man hört.
Sakari runzelt die Augenbrauen. Weiß Lauri, was der Mann hat? Der Junge schüttelt den Kopf: Die Zeiten sind nun mal so. Ist sicher dieselbe Krankheit, wie sie auch die Schwester gehabt hat. Der Junge redet mit dem Tonfall eines Erwachsenen. Sakari will es das Herz zerreißen. Lauri winkt kurz und geht seines Weges.
Da ist der Joel also selbst krank. Verdammter Mist, wie viel einem einzigen armen Menschen in seinem Leben aufgebürdet werden kann. Sakari versucht sich einzureden, Joel werde es schon überstehen, schließlich ist er robust. Und hat er als Sicherheit nicht noch den Herrn Flieger? Jedenfalls sollte Sakari sich nicht von der Sorge um Joel umtreiben lassen, wo er selbst nicht mal der Mutter seiner eigenen Kinder helfen konnte.
Trotzdem, er tut ihm leid. Und macht ihn gleichzeitig wütend. Wie kann es sein, dass Joel in seinen seltenen Briefen so gut wie nichts von den kummervollen Wendungen in seinem Leben erzählt, sondern immer nur endlos über eine zum Fliegen bestimmte Klapperkiste namens Demoiselle schwadroniert? Und natürlich über deren Eigentümer, den großartigen Herrn Aarno, der alles, was des Wissens, Könnens und Wagens in diesem ansonsten von lauter gewöhnlichen Sterblichen bevölkerten Land wert ist, zu wissen, können und zu wagen scheint.
Mit wachsendem Ärger hat Sakari lesen müssen, was der Mann für glänzende Skulpturen und Reliefs geschnitzt hat und wie stilvoll sein Atelier eingerichtet ist. Außerdem spricht die Kanaille noch vier Sprachen, spielt Geige, besitzt eine Steinmetzwerkstatt und überdies ein Motorrad, India mit Namen. Damit rast der tollkühne Kerl über den zugefrorenen Näsijärvi und vollführt Kunststücke. Sein Wagemut wird nicht einmal von dem zwei Jahre zurückliegenden Flug gebremst, bei dem der Mann fast umgekommen wäre und weshalb er nun für den Rest seines Lebens mit einem schwarzen Stirnband durch die Gegend laufen muss.
Als Sakari das las, empfand er für einen Moment pure Schadenfreude. Natürlich ist es schäbig, Genugtuung zu spüren, weil der großartige Herr Aarno ein kaputtes Stirnbein hat, aber zweifellos sorgt es für einen kleinen Ausgleich der Gewichte. Überall klingt trotzdem durch, dass der Wundermann trotz seines Schadens kein Monstrum ist, oh nein, sondern allem Anschein nach das Gegenteil. Zwar nicht sehr groß, kleiner sogar als Joel und durch die lange Bettlägerigkeit nach dem Unfall ein wenig in die Breite gegangen, weshalb er derzeit zu schwer ist, um seine Maschine zu fliegen. Deren Tragfähigkeit beträgt nämlich 65 Kilo. Ein Gewicht, das Joel noch immer unterschreitet.
Ja, Sakari ist deutlich geworden, wovon Joel Tammisto nach wie vor träumt. Auch wenn man das Vorhaben in jeder Hinsicht für verrückt erklären muss, vermutet Sakari, dass Joel sich schon lange als Steuermann der Maschine sieht und ernsthaft glaubt, eines Tages in dem komischen
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